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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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weit auf die Spur zu kommen, hatte sie die halbe Nacht kaum ein Auge zugetan. Eidings Aussagen über die Gewalttätigkeit des jungen Mörders schwirrten ihr durch den Kopf, die Warnungen des zeitweiligen Stiefvaters vor weiteren Straftaten des Flüchtigen. Zwar war ihr der Mann von Anfang an unsympathisch gewesen mit seinem aufgeblasenen, theatralischen Gehabe, dazu noch mit dem Bekenntnis, Wochenende für Wochenende ein achtjähriges Kind in einer nach Abgasen stinkenden, verlärmten Halle zum Rennfahrer zu drillen, doch war er neben der Mutter Stechers wohl die Person, die den jungen Straftäter aus eigener Erfahrung am besten beurteilen konnte – außer den Beamten und Mitgefangenen der Strafvollzugsanstalt in Schwäbisch Hall vielleicht, die Stecher in den letzten Wochen und Monaten unmittelbar kontaktiert hatten.
    Den Gedanken, Eiding könne seinem zeitweiligen Stiefsohn zur Flucht verholfen haben, hatte Neundorf nach den Aussagen der Camping-Nachbarn und der Go-Cart-Hallen-Betreiber verworfen, zumal auch die Herkunft des überraschenden Reichtums Eidings von Heilbronner Polizeibeamten geklärt worden war. Er hatte die einzige Tochter eines durch Baulandverkauf vermögend gewordenen Landwirts geheiratet und war seitdem – den Aussagen der Kollegen zufolge – dringend erpicht, sich das Wohlwollen des reichen Schwiegervaters zu erhalten. Warum sollte er dies gefährden, indem er einen flüchtigen Mörder unterstützte?
    Neundorfs Nachtruhe währte nicht lange. Viertel vor sechs am frühen Montagmorgen läutete das Telefon. Dem Leiter der Strafvollzugsanstalt Schwäbisch Hall war beim Aufstehen eine weitere Person eingefallen, mit der Stecher während seiner Haft Kontakt gehabt hatte und die er jetzt eventuell als Fluchtpunkt benutzen konnte.
    »Wierandt heißt der Mann, Markus Wierandt. Er hatte zeitweise Umgang mit dem Entflohenen, wurde aber wegen einer Infektion vor sechs Wochen ins Krankenhaus eingeliefert. Deshalb ist uns sein Name entgangen.«
    »Und der ist wieder in Freiheit?«, fragte Neundorf, deren Schläfrigkeit innerhalb weniger Augenblicke verflog.
    »Nein, er liegt noch auf der geschlossenen Abteilung. Aber seine beiden Brüder, Paul und Philipp Wierandt, sind beide keine unbeschriebenen Blätter, leider. Sie leben in Plochingen am Neckarhafen. Vielleicht hat Wierandt deren Wohnungen als Unterschlupf angeboten? Es wäre gut, wenn Sie sich die beiden vornehmen.«
    Neundorf war hellwach, informierte trotz der frühen Stunde Beck, bat ihn, mitzukommen. Sie ließ sich aus dem LKA-Computer Auskunft über die Wierandt-Brüder geben. Ihr Strafregister umfasste Diebstahl, Hehlerei, Gewaltdelikte, dazu Schmuggel und Steuerhinterziehung.
    Die Gegend am Neckarhafen war nicht gerade Plochingens beste Adresse. Lagerhäuser ohne jeden Charme, von hohen Zäunen umgebene Schuppen, aufgetürmte Berge aus Alteisen, Plastik, Düngemittelsäcken und Papier, hupende und qualmende Lastwagen, dazu laut bellende Schäferhunde, menschenleere Straßen. Auf der einen Seite des unwirtlichen Geländes der unübersehbar auf dem Reißbrett entworfene, zu einem kerzengerade verlaufenden, leblosen Bracktümpel kanalisierte Fluss, fast bis zum Rand gefüllt mit ölig-trüber Brühe, auf der anderen Seite ein breites Gleisareal mit mehreren modernen S-Bahn-Zügen. Obwohl es noch früh am Morgen war, schien die Luft zu stehen, der Gestank von Müll, brackigem Wasser und schmorendem Gummi bildete eine giftige Mischung.
    Jeder Atemzug schmerzte, als Neundorf und Beck aus dem Wagen stiegen und nach einer Möglichkeit suchten, sich bemerkbar zu machen. Sie standen vor einem schmalen, von einem hohen Stacheldrahtzaun umgebenen Gelände, angefüllt mit schrottreifen, von Rost und Beulen verschandelten Autos, ein großes Plastikschild mit der Aufschrift »P. Wierandt, Gebrauchtwagen« am breiten Eingangstor. Weit und breit keine Klingel. Irgendwo, mehrere hundert Meter entfernt, bellte ein Hund, dann die Geräusche laut aufheulender Lastwagen-Motoren.
    »Ich rufe mal kurz an«, erklärte Neundorf, zog ihr Handy vor, suchte nach der Nummer. Sie hatten ihren Besuch nicht angekündigt, um die Männer nicht vorher zu warnen.
    Einer der Brüder Wierandt meldete sich erst beim zweiten Versuch.
    »Hier isch der Paul«, gähnte er in den Apparat, »was isch denn so früh?«
    »Freut mich«, erklärte Neundorf, »Herr Wierandt, ja?«
    Der Mann knurrte irgendwelche unverständlichen Bemerkungen, ging nur zögernd auf Neundorfs Wunsch, ihn

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