Schwaben-Wut
Gesellschaft, der Willkür ehrenkäsiger Vorgesetzter. Nein, er hatte keine große Lust, in dieser zu Ende gehenden Sommernacht schwer bewaffnet in Wohnungen einzudringen und straffällig gewordene Mitbürger aus ihren Betten zu holen.
Der erste Einsatzort lag nicht weit von Söhnles eigentlicher Dienststelle entfernt, am Rand Bad Cannstatts, nur jenseits des Neckars. Die Gruppenführer hatten alle Teilnehmer der frühmorgendlichen Aktionen instruiert und nochmals äußerste Vorsicht bei ihrem Vorgehen angemahnt. Punkt vier Uhr standen sie, fünf mit Schutzanzügen bekleidete, schwerbewaffnete Beamte vor dem mehrstöckigen Haus. Der Einsatzleiter gab die Anordnung, die Haustür mit einem speziellen Schlüssel zu öffnen, dann schlichen sie auf Zehenspitzen die Treppe hoch.
Das Haus lag still, keinerlei Geräusche waren zu vernehmen. Selbst unten auf der tagsüber stark befahrenen Straße rauschte nur ab und an ein Auto vorbei. Im obersten Stockwerk angelangt, postierten sie sich mit entsicherten Waffen rechts und links von der anvisierten Wohnungstür, warteten auf das Zeichen des Gruppenleiters. Als der Mann die Glocke betätigte, beschleunigte sich Söhnles Puls. Er spürte, wie die Anspannung stieg, schwitzte in seiner dicken Schutzkleidung.
Keine Reaktion, die Wohnung blieb ruhig. Ausgeflogen, die Vögel, überlegte Söhnle, vorgewarnt von einem Informanten, der über die bevorstehende Polizeiaktion Bescheid wusste oder sie zumindest erahnt hatte. War schon öfter passiert, wie sie heute Nacht vom Einsatzleiter erfahren hatten.
Der Gruppenführer läutete erneut, jetzt länger und kräftiger, nahm den Daumen erst von der Klingel, als ein deutliches Schimpfen zu hören war. Irgendwelche ausländischen Worte, ausgestoßen von einer krächzenden Männerstimme.
Söhnle verstärkte den Griff um seine Pistole, spürte die Schweißperlen, die ihm von der Stirn tropften. In der Wohnung quietschte eine Tür, eine Männerstimme polterte los. »Was ist so früh?« Der fremde Akzent war nicht zu überhören.
»Öffnen! Polizei!« Die Stimme des Gruppenleiters dröhnte durchs ganze Haus.
Auch aus der Nachbarwohnung waren jetzt Geräusche zu vernehmen. Der Beamte trat schnell von der Tür zurück.
»Polizei? Wieso?«
Der Mann in der Wohnung drehte den Schlüssel, öffnete die Tür einen winzigen Spalt breit. Die Polizisten wichen zurück.
»Was wollen Sie?«
Söhnle sah die verschlafenen Augen des Mannes. Er trug einen altmodischen Schlafanzug, hatte Mühe zu begreifen, was die Besucher wünschten.
»Öffnen Sie die Tür!«, erklärte der Gruppenleiter. Er wagte sich aus seiner Deckung, stellte sich direkt vor den Eingang.
Der Mann in der Wohnung protestierte. »Moment! Haben Sie einen Ausweis?«
Er rieb sich die Augen, studierte schwerfällig die kleine Karte, die ihm entgegengestreckt wurde. »Aber was wollen Sie?«
»Tür auf!«
Umständlich zog der Mann die Kette ab, sah sich von fünf schwerbewaffneten Polizeibeamten in die Wohnung zurückgedrängt.
»Was ist los?«, kreischte eine laute Frauenstimme unten im Treppenhaus. »Haben die was angestellt?«
Die Polizisten gaben keine Antwort. »Ziehen Sie sich bitte sofort an. Wir bringen Sie direkt zum Flughafen«, erklärte der Gruppenleiter.
Söhnle sah, wie ein junges, vielleicht 18-jähriges Mädchen, ein junger Mann und eine Frau ängstlich und verschlafen um die Ecke starrten. Es schien sich um eine komplette Familie zu handeln.
»Flughafen?«, stammelte der Mann. »Wieso Flughafen?« In seinem aufgeregten Zustand wurde sein Deutsch immer schlechter.
Der Gruppenleiter zog ein Papier vor, faltete es vor den Augen des Wohnungsinhabers auseinander »Sie sind Herr Karic, Dragan, geboren am 26.12.1957?«
Der Mann hatte Schwierigkeiten zu verstehen, bestätigte dann die Frage.
»Wir müssen Sie sowie Ihre Frau Margita, geboren am 18.8.1960, Ihre Tochter Mirela, geboren am 25.5.1982 und Ihren Sohn Oliver, geboren am 29.6.1983 zum Flughafen bringen. Sie werden sofort in Ihre Heimat geflogen.«
»Wie bitte?«
Söhnle hörte das laute Schreien des Mädchens im Hintergrund, während der Mann wie erstarrt vor ihnen stand und sich nicht von der Stelle regte. Die junge Frau wagte sich aus der Deckung, sprang direkt auf sie zu. Sie trug ein kurzes Nachtkleid, hatte gebräunte schlanke Beine, ein schmales, jetzt von Schreck und Entsetzen gezeichnetes Gesicht. Söhnle sah ihre langen dunklen Haare, die schwarzen Augenwimpern, überlegte, dass sie unter normalen
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