Schwaben-Wut
fünf Meter von dem Haus entfernt, öffnete sich dessen Eingangstür. Der stämmige große Typ, den sie vor wenigen Minuten schon einmal gesehen hatten, trat auf die Straße, ließ den Mann ins Haus.
»Wer ist der Kerl? Ein Kunde?«, fragte Braig.
Knödler nickte. »Wer sonst?«
Zehn Minuten später tauchte der nächste Besucher auf dem Gehweg auf. Einen Hut auf dem Kopf, so weit in die Stirn gedrückt, dass von seinem Gesicht fast nichts zu sehen war, näherte er sich dem Haus von der anderen Seite. Die Tür wurde sofort geöffnet, der Mann eingelassen.
»Die sind alle vorangemeldet«, überlegte Braig, »Stammkundschaft, schätze ich mal.«
»Dann haben wir keine Chance, die Hintermänner zu erwischen. Wozu auch sollten die sich herbemühen?«
»Um die neue Ware zu testen.«
»Du glaubst, das interessiert sie?«
»Warum nicht?«
Günther Knödler lachte leise. »Ich fürchte, dazu sind sie zu raffiniert. Von denen begibt sich keiner in die Jauchegrube, dorthin, wo die schmutzigen Geschäfte getätigt werden. Machen Sie sich keine Hoffnungen.«
Braig starrte auf die Straße, sah, dass sich wieder ein Mann dem Haus näherte. Er hatte den Eingang fast erreicht, als die Tür geöffnet wurde und der stämmige Typ auf die Straße trat.
»Mein Gott, die Geschäfte florieren wirklich«, schimpfte Neundorf fast eine Stunde später, als der zwölfte Kunde in dem Gebäude verschwunden war, »kannst du mir sagen, was für einen Grund es heute noch gibt, nach Bangkok zu fliegen oder in einen unserer östlichen Nachbarstaaten? Hier wird doch alles direkt vor der Haustür angeboten.«
Wenige Minuten später trat einer der mit einem Anzug bekleideten Herren wieder auf die Straße. Er verabschiedete sich von dem Türsteher, zog seine Jacke zurecht, machte sich eilig davon.
Knödler trommelte ungeduldig auf die Konsole. »Wie lange wollen wir noch warten?«, fragte er. »Vorausgesetzt, es sind wirklich minderjährige Mädchen dabei, müssen wir die Typen in flagranti erwischen, sonst gehen sie uns alle durch die Lappen.«
»Dann schlagen wir zu«, meinte Neundorf.
Sie hatten Glück. Gerade, als sie ihr Fahrzeug starteten, näherte sich der nächste Kunde. Sie stoppten genau in dem Moment vor dem Eingang, als die Tür geöffnet wurde. Neundorf und drei weitere Beamte nahmen den Türsteher in Gewahrsam, stürmten mit gezogenen Waffen ins Innere. Knödler und Braig folgten mit den übrigen Kollegen.
Das Haus verfügte über eine Küche, Bad, zwei Toiletten, einen großen, einem Arztwartezimmer ähnlichen Raum, dazu zwölf kleine, schmale Gemächer, jedes gerade groß genug für ein französisches Bett und eine kleine Duschkabine. Bis auf ein Zimmer waren alle belegt.
Die Reaktionen auf das Eindringen der Beamten fielen überall ähnlich aus: In die Duschen flüchtende Mädchen, lauthals protestierende Herren.
Sie notierten ausführlich die Personalien, ließen alle Drohungen von angeblichen Disziplinarstrafen als Konsequenzen ihres Handelns bis zu den Hinweisen auf die besten Kontakte in die höchsten Ebenen der Staatsanwaltschaft und der Ministerien und den daraus folgenden Komplikationen für ihre weitere berufliche Laufbahn an sich abprallen und versuchten Belege für das Alter der jungen Frauen zu finden. Vergeblich. Kein einziger Ausweis, kein Pass, nicht ein amtliches Dokument.
»Dann müssen wir die ganzen Schweine laufen lassen«, tobte Neundorf, »solange wir keine schriftlichen Belege vorweisen können, dass es sich um Minderjährige handelt, brauchen wir beim Haftrichter erst gar nicht anfragen.«
»Schau dir doch die Gesichter an. Was willst du mehr?«
»Das nützt uns nichts. Gesichter lassen sich auf jung schminken, werter Herr Kommissar, für bessere Geschäfte sozusagen, dies Argument kenne ich zur Genüge«, erklärte Knödler, »damit kommen wir nicht durch.«
Nicht eines der aufgegriffenen Mädchen war bereit, mit ihnen zu sprechen. Alle zeigten sich verängstigt, stammelten sinnlose Beteuerungen in gebrochenem Deutsch wie »nix verstehen« oder weigerten sich prinzipiell, auch nur einen Ton von sich zu geben.
»Du sprichst doch Slawisch. Kannst du es nicht mal probieren?«
Braig versuchte es mit Serbokroatisch, hatte aber keinen Erfolg. Nur eines der Mädchen antwortete. »Russisch«, sagte er, »leider verstehe ich nur einige Brocken. Wir brauchen Dolmetscher.«
Kurz nach 22 Uhr waren die Kunden des Hauses allesamt wieder auf freiem Fuß. Die jungen Frauen legten Wert darauf, so erklärte
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