Schwaben-Wut
hatte sich mühsam in ihrem Bett aufgerichtet, nickte nur mit dem Kopf.
»Manuelas Tod hat Sie sehr mitgenommen.« Er fragte nicht, gab seinen Worten den Ton einer sachlichen Feststellung.
»Manuela war mein Leben.« Die Stimme der Frau klang schwach, korrespondierend zu ihrer ganzen Erscheinung. Woran immer sie litt, es war nicht gut um sie bestellt. Die Ärztin hatte ihn gebeten, sich möglichst kurz zu fassen.
Er schaute zum Fenster über die beiden leeren Betten weg, die nebeneinander aufgereiht waren. Die Äste eines Baumes bewegten sich draußen im Wind hin und her. Im Hintergrund erstreckten sich die weitläufigen Anlagen der Ludwigsburger Schlösser.
»Sie haben keine anderen Kinder?« Seine Worte waren genauso überflüssig, wie die Sätze zuvor. Er wollte von der Frau nur wissen, ob sie bei ihrem Besuch im Gefängnis irgendetwas erfahren hatte, das ihnen Hinweise zum gegenwärtigen Aufenthaltsort Stechers liefern konnte – nicht mehr und nicht weniger. In Anbetracht des schlechten Gesundheitszustands Bianca Eitles kam es ihm jedoch schäbig vor, sie direkt mit seinem Anliegen zu überfallen.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich hatte nur Manuela.«
Er wusste aus den Akten, dass sie geschieden war. »Ihre Eltern leben noch?«
»Meine Mutter.« Sie rang um Luft, richtete sich schwerfällig weiter auf. »Sie liegt in Leonberg in einem Pflegeheim. Schlaganfall.«
Braig wusste nicht, wie er die Frau aufmuntern sollte, beschloss, zum Thema zu kommen. »Wir suchen Stecher.«
Bianca Eitle sah ihn überrascht an. »Deshalb kommen Sie zu mir?«
»Herr Groß, ein ehemaliger Lehrer Stechers, erzählte mir, dass Sie ihn im Gefängnis besucht haben. Vielleicht haben Sie etwas erfahren, was uns weiterhilft.«
»Was soll ich erfahren haben?«
»Wo Stecher sich aufhält, welche Freunde ihm Unterschlupf gewähren könnten, zum Beispiel.«
»Darüber hat er mir nichts erzählt. Glauben Sie etwa, ich wusste, dass er fliehen wollte?«
Braig schüttelte beschwichtigend den Kopf. »Natürlich nicht. Aber vielleicht haben Sie aus Zufall etwas gehört, was uns nützt.«
»Nein, ganz bestimmt nicht.« Bianca Eitle griff sich an die Seite, stöhnte leise auf, verzog vor Schmerzen ihr Gesicht.
»Er sprach nicht über seine Zukunft, etwaige Pläne oder Hoffnungen?«
Sie ließ sich ein Stück ins Bett zurücksinken, rutschte nach unten. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder Kraft zum Sprechen fand. »Ich war bei ihm im Gefängnis, weil ich den Mörder meiner Tochter genauer kennenlernen, weil ich von ihm persönlich wissen wollte, warum er ihr das angetan hat. Darüber sprach ich mit ihm. Seine Vergangenheit interessierte mich, nicht seine Zukunft.«
Braig nickte verständnisvoll mit dem Kopf, obwohl es ihm Schwierigkeiten bereitete, ihren Wunsch nachzuvollziehen. Dem Mörder der eigenen Tochter gegenüberzutreten, erforderte außergewöhnlich viel psychische Kraft. Die Frau hatte sicher wochenlang damit zu tun gehabt, diese Begegnung zu verarbeiten.
Braig wusste aus Erfahrung, dass nur wenige Angehörige in der Lage waren, dem Täter gegenüberzutreten, der den Tod oder die Beeinträchtigung der Gesundheit eines Familienmitglieds zu verantworten hatte. Bianca Eitle musste über ein überdimensional großes Ausmaß an Willenskraft verfügen, dass sie sich dieses Treffen mit Stecher auferlegt hatte, noch dazu in ihrem angeschlagenen Zustand.
»Es wäre auch nur ein Zufall gewesen, wenn Sie etwas erfahren hätten«, gab Braig zu, »wir tappen dermaßen im Dunkeln, was den Verbleib Stechers anbetrifft, dass wir uns an jeden Strohhalm klammem, den wir nur finden können. Und Ihr Gespräch mit ihm war für mich ein solcher Strohhalm.«
Bianca Eitle folgte aufmerksam seinen Worten, richtete sich langsam im Bett auf. Braig schien es, als hätte ihre Haut wieder einen Hauch von Farbe gewonnen.
»Sie haben keine Spur von ihm?«
»Nichts, gar nichts. Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Alle paar Tage taucht er plötzlich auf, begeht einen neuen Mord und dann ist er wieder weg. Wir haben nicht einmal einen Anhaltspunkt, wo wir ihn suchen sollen. Und jeden Moment kann er wieder irgendwo zuschlagen und wir wissen nicht, wo und wann. Die Sache ist völlig verfahren.«
Bianca Eitle drehte sich zur Seite, griff in ihrem schmalen Nachtschrank nach einer Packung Papiertaschentücher, zog eines der Tücher daraus hervor, fuhr sich damit sorgsam über die Stirn. »Sie glauben, er macht immer noch weiter?«
»Wir wissen es
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