Schwaben-Zorn
angelangt war, stieg er die Treppen hoch, spürte die Schmerzen in seinem Kopf. Höchste Zeit für Kaffee und Aspirin.
Er erreichte sein Stockwerk, sah die bullige Gestalt Michael Felsentretters zum Aufzug stürmen. Der Kollege war annähernd zwei Meter groß, dazu kräftig und muskulös und von langjährigem Kraftsporttraining geprägt: von der breiten Schulterpartie bis zu einem leicht watschelnden Gang. Er hatte dünne Haare, ein breites Gesicht, war Anfang vierzig. Felsentretter nahm Braig erst in letzter Sekunde wahr, stoppte mitten in seinem stürmischen Lauf.
»Du bist wieder da?«, fragte Braig.
Felsentretter starrte zu ihm hin.
»Wie war es auf der Fortbildung?«
»Fortbildung?«, donnerte der Kollege.
Jedes Mal, wenn er den Kollegen reden hörte, schoss Braig der Gedanke durch den Kopf, dass die Stimme des Mannes ähnlich überdimensioniert war, wie seine ganze Gestalt.
»Vergiss den Quatsch. Die übliche Kacke. Effizientere Fahndungsmethoden. Die neuste Gehirnblähung aus den USA. Schwachsinn hoch zehn. Aber hast du von den Amis was anderes erwartet? Statt endlich mit staatlichen Programmen ihre krassen sozialen Gegensätze abzumildern, beuten sie die Ärmsten der Armen noch weiter aus und verbreitern so den Nährboden ihrer überbordenden Gewaltkriminalität. Für diejenigen, die sich diese Verarschung nicht länger bieten lassen und deshalb aus der Norm fallen, entwickeln sie dann großartige Computerprogramme, um sie besser jagen und zur Strecke bringen zu können. Zum Kotzen!« Er schaute auf seine Uhr, zeigte zum Fahrstuhl. »Ich muss weg. Eine unbekannte Leiche am Hauptbahnhof.«
»Unfall?«, fragte Braig.
Hinter ihnen verkündete ein Signal die Ankunft des Aufzugs.
»Keine Ahnung«, erklärte Felsentretter. Er starrte zum Fahrstuhl, setzte sich augenblicklich wieder in Bewegung. »Vom Bahnhofsturm gestürzt. Mehr weiß ich nicht. Die Techniker sind schon dort.«
Braig hörte seine letzten Worte noch durch die bereits geschlossenen Aufzugtüren. Er eilte in sein Büro, lief ans Waschbecken, klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Braig drehte den Hahn noch weiter auf, hielt sein Gesicht direkt unter den Strahl. Das Wasser prallte auf seine Wangen, das Kinn, die Stirn. Er hielt seine Augen geschlossen, spürte das Pochen des Bluts in seinen Schläfen. Wasser lief ihm in den Nacken, tropfte unter sein Hemd. Er spürte das feine Rinnsal den Rücken hinunterrinnen. Gänsehaut überzog die Partie zwischen den Schulterblättern. Braig holte sich ein Aspirin, schluckte die Tablette. Er lief wieder zum Wasserhahn, trank von der kalten Flüssigkeit, richtete sich auf, drehte den Strahl ab.
Nur langsam verloren die Schmerzen in seinem Kopf an Intensität. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund. Anschließend bereitete er zwei große Tassen Kaffee vor. Das Wasser tröpfelte in die Kanne. Braig suchte die Telefonnummer der Wohnung in Endersbach. Als würziger Kaffeeduft durch sein Büro strich, hatte er Michaela Schneitter am Apparat.
»Hier ist Steffen Braig vom LKA«, meldete er sich, »ich war gestern bei Ihnen.«
»Sie haben den Täter?«
Braig atmete tief durch. Es war immer dasselbe. Die Leute kannten die Arbeit der Kriminalpolizei nur aus dem Fernsehen, glaubten, die Suche nach den Schuldigen sei eine unterhaltsame Affäre von Minuten, höchstens Stunden. »Leider nein. Die Ermittlungen sind nicht so einfach. Wir wissen immer noch nicht, mit wem Christina Bangler zuletzt zusammen war.«
»Sie wissen es nicht?«, entrüstete sich Frau Schneitter. »Aber ich erzählte Ihnen doch, dass sie sich mit Corinna Fischer, ihrer ehemaligen Mitschülerin, traf.«
»Das ist leider so nicht richtig. Frau Fischer hatte einen Autounfall, daher wurde nichts aus der Verabredung.« Braig berichtete seiner Gesprächspartnerin in aller Kürze von seinen Ermittlungen, fragte dann nach dem bisher unbekannten Mann. »Sie kennen einen Markus? Irgendwo im Freundeskreis Frau Banglers?«
Michaela Schneitter überlegte, entschuldigte sich dann. »Tut mir Leid. Es ist besser, Sie fragen Rebekka. Vielleicht weiß die mehr.«
»Wo ist sie?«
»In ihrem Zimmer. Sie kann nicht arbeiten, unmöglich. Der Tod Christinas hat sie zu sehr mitgenommen. Sie heult die halbe Nacht. Erst heute Morgen hat sie sich etwas beruhigt. Ich werde sie holen.« Sie machte eine Pause, setzte dann jedoch noch einmal an: »Aber ich möchte Sie bitten, Rebekka mit allzu forschen Fragen zu verschonen.«
Braig dachte an die bleiche junge
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