Schwaben-Zorn
Schlösser, Parks und Alleen mitten in der Stadt, dazu ein ständig frisch aufpolierter lebendiger Stadtkern mit unzähligen historischen Gebäuden und Plätzen, einer großzügigen Fußgängerzone und einem großen Angebot an Cafés, Bistros und anderen Lokalen. Allein die gepflegten Schlossanlagen mit wechselnden Blütenmeeren und immer neuen Events zogen Jahr für Jahr Hunderttausende von Besuchern in die Stadt.
Braig wusste an diesem Tag mit dem besonderen Glanz Ludwigsburgs nichts anzufangen. Beseelt von der Hoffnung, dem skrupellosen Mörder der beiden jungen Frauen endlich spürbar nahe gekommen zu sein, eilte er in den Geschäften und Wohnungen der Fußgängerzone von Tür zu Tür, zeigte das Foto und fragte nach dem darauf abgebildeten Mann. So sehr er sich insgeheim eine schnelle Identifikation des bisher noch Unbekannten erhofft hatte – bedauerndes Kopfschütteln und eine Flut von Absagen waren die einzige Reaktion, die ihn erwartete.
»Noi, tut mir Leid, den han i noch nie gsehe!«
»Den soll i kenne? Sie täuschet sich!«
»Ob der scho bei uns was kauft hat? Net das i wüsst!«
Sie hatten sich nach der Ankunft in der Stadt auf die verschiedenen Areale des Zentrums verteilt, warteten insgeheim auf den Anruf einer der Kollegen, auf eine Spur des Mannes gestoßen zu sein. Je länger der Erfolg ausblieb, desto stärker wuchs der Frust.
Nach mehr als einer Stunde vergeblichen Mühens machte Braig bei einer Bäckerei Halt, aß im Stehen zwei Brezeln, bestellte einen Kaffee.
Er starrte nach draußen, sah die Passanten mit hoch erhobenen Schirmen die Straße entlangspurten. Wie zur Bestätigung seines Gemütszustands hatte sich auch die Wetterlage grundlegend verschlechtert. Sonnigen, nur von einigen Schauern unterbrochenen Stunden war ein intensiver Dauerregen gefolgt, der, von Windböen begleitet, den Aufenthalt im Freien zur Qual werden ließ. Dass die Lufttemperatur gegenüber den Vortagen um mehrere Grad zugelegt hatte, vermochte Braigs Stimmung nicht zu verbessern.
Er trank den Rest seines Kaffees, zog sein Handy aus der Tasche, erkundigte sich im Diakonissenkrankenhaus in Stuttgart nach der neuen Zimmer- und Telefonnummer Ann-Katrins. Die Frau am anderen Ende wies bedauernd darauf hin, dass ihr die Daten im Moment noch nicht bekannt seien und bat ihn, zwei oder drei Stunden später noch einmal anzurufen. Verärgert beendete er das Gespräch, nahm sich fest vor, Ann-Katrin spätestens am Abend in der Klinik zu besuchen, gleichgültig, wie weit sie bis dahin mit ihren Ermittlungen gekommen waren. Er spürte mehr als ein schlechtes Gewissen, weil er seit dem vorherigen Morgen nicht ein einziges Mal mit ihr geredet hatte, wusste, dass er sein Privatleben den beruflichen Verpflichtungen nicht länger so rückhaltlos unterordnen durfte.
Braig starrte durch die von unzähligen Regentropfen verschleierte Scheibe nach draußen. Taschen, Einkaufstüten und Schirme in den Händen, hasteten die Menschen vorbei. Voller Widerwillen verfolgte er ihre Schritte. Braig hasste Einkaufen. Der Anblick hektisch nach immer neuen Konsumartikeln jagender Menschenmassen verursachte ihm heftige Übelkeit. Die Mehrheit dessen, was zum Kauf angeboten wurde, empfand er als überflüssigen Tand. Dinge, die selbst nach längerem Überlegen kaum jemand benötigte, deren Erwerb breiten Bevölkerungsgruppen jedoch durch unablässige Werbung und mit immer neue Tricks Tag für Tag eingebleut wurde. Braig fühlte sich angewidert, wenn er daran dachte, wie sehr der Wunsch, immer mehr kaufen und besitzen zu wollen, viele Menschen beherrschte.
Der Anruf Anja Wintterlins riss ihn aus seinen trübsinnigen Gedanken.
»Ich habe ihn«, sagte sie kurz.
»Wen? Den Kerl, den wir suchen?«
»Genau den. Ein gewisser Herbert Pflüger. Er wohnt in Enzweihingen.«
»Woher weißt du das?«
»Eine Frau hat ihn erkannt. Sie arbeitet hier am Marktplatz in der Touristeninformation. Pflüger ist der ehemalige Freund ihrer Schwester.«
»Sie ist sich sicher?«
»Hundert pro. Sie hat keinerlei Zweifel.«
»Weiß sie, wo wir ihn jetzt um diese Zeit finden können?«
»Er verkauft Autos. Frau Besler kennt die Firma. Jedenfalls war er vor ungefähr vier Monaten, als sie ihn das letzte Mal sah, noch dort beschäftigt. Ich habe mir die Adresse notiert. Es liegt am Rand von Ludwigsburg Richtung Eglosheim.«
»Dann fahren wir sofort hin. Du hast die anderen informiert?«
»Katrin, ja. Sie verständigt gerade Felsentretter.«
»Sehr gut. Dann können
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