Schwaben-Zorn
wir leben in Deutschland. Dass sie so weit gehen, hätte ich niemals für möglich gehalten«, er wiederholte sich. »Ich habe die Leute unterschätzt.«
»Woran arbeitest du?«, fragte sie.
»Drogen«, antwortete er. »Ich versuche, verschiedene Herkunftswege aufzuspüren. Seit mehreren Monaten.«
»Du arbeitest mit der Polizei zusammen?«
Gronau schüttelte energisch den Kopf. »Ich bin Journalist. Meine Unabhängigkeit ist mein wichtigstes Pfand. Die Polizei darf nur tun, was die Staatsanwaltschaft erlaubt. Und da gilt es, Rücksicht zu nehmen auf gewisse Herren.«
»Seit wann kümmerst du dich um Drogen?«
»Es begann mit einem Zufall: Ich untersuchte die Tätigkeit amerikanischer Agenten, die das Know-how deutscher Industrieentwicklungen ausspionieren, stieß dabei auf einen Heroinimportkanal. Seither habe ich mehrere Verteiler bloßgestellt. Ich werde von mehreren großen Zeitungen unterstützt. Das Treffen in Hamburg brachte interessante Informationen. Ich muss zugeben, dass ich froh war, dass du dich in der Wohnung aufgehalten hast. Ich hoffte, es würde meine Beschatter ablenken.«
»Das habe ich auch getan. Ganz offensichtlich.« Sie zeigte auf ihr Gesicht.
»Ich hatte die Diskette bei Mario deponiert, um sie zu täuschen. Weil ich merkte, dass sie die Wohnung überwachen. Ich brauchte irgendjemanden, den ich von hieraus hinschicken konnte. Ich wusste, dass sie damit rechnen, dass ich meine Informationen woanders hinterlege. Zu meiner Sicherheit. Es ist unverzeihlich, ich gebe es zu.«
»Du hast mein Leben bewusst riskiert.«
»Nein«, widersprach er heftig, »das habe ich nicht. Ich wusste nicht, dass sie so weit gehen würden, wirklich nicht. Aber deine Anwesenheit in der Wohnung war ein Glücksfall, ja.«
Sie schwiegen beide, wandten die Blicke voneinander weg. Lisa aß den Rest ihrer Pizza, wischte sich den Mund ab. »Ich benötige deine Hilfe«, sagte sie.
Gronau sah auf, erwachte aus seinem Dämmerzustand. »Gerne. Ich weiß, was ich gutzumachen habe.«
Sie erhob sich, verließ die Küche, kehrte kurz darauf mit einem Blatt zurück. Die Katze hob ihren Kopf in die Höhe, betrachtete das Geschehen aus verschlafenen Augen.
»Kennst du den Mann?« Sie faltete das Papier auseinander, legte es vor ihn auf den Tisch.
Gronau pfiff laut durch die Zähne. »Was willst du von ihm?«
»Du kennst ihn?«
Er wog seinen Kopf hin und her. »Kennen ist nicht der richtige Ausdruck.«
»Aber du weißt, um wen es sich handelt.«
Gronau nickte. »Eine Phantomzeichnung, ja? Wer hat den skizziert?«
»Ich war ebenfalls nicht ehrlich zu dir«, erwiderte sie. Er schaute sie überrascht an. »Unsere Begegnung im Café Schweickhardt war nicht zufällig.«
»Du weißt, dass ich seit Jahren dort verkehre.«
Lisa nickte. »Ich wollte dich nach dem Mann fragen«, sagte sie. »Aber nicht in aller Öffentlichkeit. Außerdem fürchtete ich, dass du mir keine Auskunft geben würdest.«
»Deshalb hast du die Chance genutzt, dich bei mir einzuquartieren?«
Sie nickte wieder.
»Warum interessiert er dich?«
Sie schwieg, gab keine Antwort.
»Du willst es nicht erzählen?«
»Michael starb nicht durch einen Unfall«, sagte sie dann.
Er merkte an ihrem Tonfall, wie nahe es ihr ging. »Dein Mann.«
»Er sprang aus dem obersten Stockwerk eines Hochhauses. In Asemwald.«
»Selbstmord«, sagte er. »Du weißt, weshalb?«
»Anna war sein Ein und Alles. Er kämpfte ein Jahr lang mit Gott und der Welt. Rannte in Kirchen, stritt sich mit dem Allmächtigen. Michael schaffte es nicht. Er konnte nicht mehr.«
»Was ist passiert?«
Die Katze auf seinem Schoss gähnte ausgiebig, rollte sich dann wieder zusammen.
Lisa schaute irritiert zu ihr hin. »Wir hatten eine schöne Zeit. Mit allen Freuden und Problemen. Bis Anna mit 16 an Drogen herankam. Wir hatten keine Chance. Trotz aller Therapien wurde sie immer wieder rückfällig. Im Delirium kletterte sie auf unser Dach und stürzte in den Tod. Vor unseren Augen.« Ihre Stimme erstarb, das Geschehen lief erneut vor ihr ab: Das Mädchen auf dem Dach, der Moment, als sie auf den nassen Ziegeln ausrutschte, ihr Aufprall auf dem Boden, der Traum, der sie seitdem Nacht für Nacht verfolgte.
Sie nahm alle Kraft zusammen, zeigte auf das Blatt. »Zuerst ging es mir wie Michael. Ich konnte nicht mehr, war fertig. Anna, der Sinn in unserem Leben. Wozu noch weitermachen, weshalb noch aufstehen, jeden Morgen? Dann kam sein Tod.« Sie schwieg, hatte Mühe weiterzusprechen. »Als ich
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