Schwanengesang (German Edition)
vermeintlicher Selbstmord zu sehen ist, an die Polizei schicken sollen? Das wäre doch Schwachsinn gewesen. Keine Lebensversicherung zahlt bei einem Selbstmord!«
»Das ist ein weit verbreiteter Irrtum«, korrigierte Gabriel. »Lebensversicherungen müssen auch bei einem Selbstmord zahlen, wenn das Datum des Vertragsabschlusses mehr als drei Jahre vor dem Todesfall liegt, §161 VVG. Ich habe schließlich nicht umsonst jahrelang bei einer Versicherung gearbeitet. Aber in diesem Fall hast du tatsächlich recht. Ich habe von Susanne auch eine Kopie der Lebensversicherungspolice bekommen. Der Versicherungsvertrag wurde erst zwei Jahre vor dem Tod von Johanna Reichert abgeschlossen, das heißt, bei einem Selbstmord müsste die Versicherung nicht zahlen. Womit Charlotte Vollmer als Täterin oder Mittäterin tatsächlich ausscheiden dürfte.«
Marc nickte langsam. »Das Gleiche gilt in ähnlicher Form auch für die Erben. Johanna Reichert ist tot, Heinen hat einen natürlichen Tod bescheinigt. Warum hätten die Erben ein Interesse daran haben sollen, die DVD an die Polizei zu schicken und damit die ganzen Ermittlungen ins Rollen zu bringen? Das verkompliziert die Sache doch nur unnötig!«
Gabriel dachte über diesen Punkt nach. »Vielleicht ist derjenige, der die DVD an die Polizei geschickt hat, ja nicht mit dem Täter identisch«, spekulierte er. »Vielleicht wollte der Übersender der DVD Charlotte Vollmer schaden und verhindern, dass die Versicherungssumme ausgezahlt wird. Mir fällt da nur die Lebensversicherungsgesellschaft selbst ein, aber die kann ja nicht in den Besitz der Aufnahme gelangt sein. Oder ein Feind von Charlotte Vollmer, der nicht will, dass sie das Geld bekommt.«
»Es gibt nur zwei Menschen, die eine Kopie der Videoaufnahme anfertigen konnten«, ergänzte Marc. »Heinen und das Hausmädchen Yvonne. Andere Personen waren zwischen dem Ende der Aufnahme und dem Zeitpunkt, zu dem Heinen mir die Speicherkarte gegeben hat, nicht in der Villa. Die Speicherkarte liegt immer noch sicher zu Hause in meinem Arbeitszimmer, ich habe nachgesehen. Also hat entweder Heinen oder Yvonne die DVD an die Polizei geschickt.«
»Oder eine Person, für die eine Kopie der Aufnahme angefertigt wurde. Aber auch diese Person müsste ein Motiv gehabt haben, die DVD an die Polizei zu schicken.« Gabriel massierte sich die Stirn. Plötzlich schaute er auf. »Mir ist gerade noch ein anderes mögliches Motiv eingefallen«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Der Übersender der DVD wollte nicht Charlotte Vollmer schaden.« Er machte eine dramatische Pause. »Sondern dir.«
Marc starrte seinen Freund an. »Mir?«
»Natürlich. Du bist doch der Leidtragende und stehst unter Mordverdacht. Jetzt haben die Erben die Chance, dein Vermächtnis wegen Vermächtnisunwürdigkeit anzufechten und sparen sich dadurch immerhin jeder zweihundertfünfzigtausend Euro.«
Marc nickte langsam. »Rottmann hat die Anfechtung bereits angekündigt, sobald meine Beteiligung an dem Mord feststeht«, sagte er. »Aber wie du schon sagtest: Die Erben sparen dadurch insgesamt fünfhunderttausend Euro. Bei einem Gesamtwert des Nachlasses von zwanzig Millionen ist das kaum den ganzen Aufwand wert, oder?«
»Mag sein«, räumte Gabriel ein. »Vielleicht geht es auch gar nicht um diese fünfhunderttausend Euro. Da ist nämlich noch eine andere Sache: Und zwar der Zeitpunkt, an dem das Vermächtnis für dich in das Testament aufgenommen worden ist. Das war, bevor du Heinen und die Reichert kennengelernt hast. Mit anderen Worten: Irgendjemand muss diese Sache von Anfang an genauso geplant haben. Vielleicht, weil sich diese Person an dir rächen will.«
»Aber wer sollte das sein? Ich habe keine Feinde!«
»Vielleicht keine, die du kennst.«
»Möglicherweise geht es wirklich um mich«, stimmte Marc seinem Freund zu. »Ich habe nämlich auch etwas herausgefunden: Es war kein Zufall, dass Heinen mich aufgesucht hat.«
Gabriel lehnte sich zurück. »Aha.«
»Bei unserem ersten Treffen hat Heinen behauptet, er sei als Zeuge beim Landgericht geladen. Stefanie hat in meinem Auftrag ein wenig recherchiert und das Ergebnis ist eindeutig: Heinen sollte an diesem Tag nicht als Zeuge beim Landgericht aussagen. Übrigens auch nicht beim Arbeits- oder beim Amtsgericht. Er hat mich also gezielt aufgesucht. Und jetzt wissen wir auch, warum: Weil zu diesem Zeitpunkt das Vermächtnis für mich schon in dem Testament stand.«
»Aber wie konnte Heinen so sicher sein, dass du
Weitere Kostenlose Bücher