Schwanengesang (German Edition)
auszumachen. Eine Vitrine mit Geschirr, ein Sekretär, darauf ein Laptop! Vielleicht waren die gesuchten Aufnahmen ja auf der Festplatte.
Marc schaute auf die Uhr. Wie lange war Charlotte Vollmer schon weg? Drei Minuten, fünf, sieben? Er wusste es nicht. Egal, das war vielleicht seine einzige Chance.
Von der Hausherrin war nichts zu sehen oder zu hören. Mit wenigen Schritten war Marc bei dem Laptop, drückte die Leertaste und der schwarze Bildschirm erwachte zum Leben. Aber Marcs Glücksgefühl verabschiedete sich sofort wieder, als auf dem Display ein Dialogfenster erschien, das nach einem Passwort verlangte.
Scheiße, dachte Marc. Er hatte beim besten Willen keine Zeit, irgendwelche Passwörter auszuprobieren. Aber er wusste, dass es zwei Dinge gab, auf die man sich fast immer verlassen konnte: auf die Vergesslichkeit und auf die Faulheit der Menschen. Fast jeder hatte sein Passwort irgendwo notiert und in Reichweite der Tastatur versteckt.
Und auch Charlotte Vollmer enttäuschte ihn in dieser Hinsicht nicht. In der untersten Schublade ihres Sekretärs fand er einen Zettel mit mehreren Zahlen. Anschlusskennung, T-Online-Nummer, persönliches Kennwort und dann ganz unten das Passwort, das aus einer sechsstelligen Zahl bestand: 348636 . Bingo! Jetzt musste er nur noch …
»Kann ich Ihnen helfen?«
Marc fuhr herum. Charlotte Vollmer hatte sich inzwischen umgezogen, sie trug einen weiten Pullover und eine bequeme Hose.
»Ich …« Marc merkte, dass er knallrot anlief. »Ich … habe mich ein wenig umgesehen und dabei diesen Zettel mit Ihrem Passwort gefunden. Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, dass es gefährlich ist, sich das Passwort zu notieren und dann auch noch direkt neben dem PC liegen zu lassen. Das ist genauso, als ob Sie Ihre PIN auf Ihre EC-Karte schreiben.«
»Ich kann mir diese ganzen Zahlen nicht merken, deshalb muss ich sie mir aufschreiben.«
»Warum haben Sie sich dann kein Passwort ausgesucht, das Sie sich leichter merken können?«, wollte Marc wissen. »Das müssen keine Zahlen sein. Ein Name ist beispielsweise auch möglich. Oder eine Kombination aus beidem.«
»Dieses Passwort war nicht meine Idee«, erwiderte Charlotte Vollmer gereizt. »Ein Bekannter hat den Laptop für mich besorgt und alle Programme installiert. Er hat sich auch das Passwort ausgedacht und für mich notiert. Hören Sie, Herr Hagen. Es ist spät. Fragen Sie, was Sie zu fragen haben. Ich habe morgen einen langen Tag vor mir.«
Marc atmete erleichtert durch. Offenbar war sie nicht misstrauisch geworden. »Natürlich«, sagte er. »Es geht um die Lebensversicherung von Frau Reichert.«
»Aha, was ist damit? Wir sollten uns doch kurz setzen.« Sie deutete auf ihre Sitzgarnitur. Während Marc wieder auf dem Sofa Platz nahm, schaltete Johanna Reichert den Fern seher aus, dann setzte sie sich Marc gegenüber in einen Sessel.
»Sie sind die Begünstigte dieser Lebensversicherung«, nahm Marc den Faden wieder auf. »Und damit jetzt immerhin um 2,8 Millionen Euro reicher.«
»Schön wär’s«, seufzte Charlotte Vollmer. »Das Geld ist bisher noch nicht ausgezahlt worden. Die Versicherung geht davon aus, dass Johanna ermordet worden ist. Sie wartet, bis der Fall aufgeklärt ist, damit sie keine Gefahr läuft, das Geld an den Mörder auszuzahlen.« Sie lächelte bitter.
»Sehen Sie, und da beginnt mein Problem«, hakte Marc nach. »Ich bin bis heute davon ausgegangen, dass Sie als Täterin oder Mittäterin für den Mord an Frau Reichert nicht in Betracht kommen, obwohl Sie aufgrund der Lebensversicherung ein Motiv hatten.«
»Zu gütig von Ihnen«, erwiderte Charlotte Vollmer mit einem ironischen Unterton in der Stimme. »Aber offenbar hat sich Ihre Meinung nun geändert. Verraten Sie mir auch, warum?«
Auf einmal hörte Marc aus einem Nachbarzimmer ein rumpelndes Geräusch, als sei ein Gegenstand zu Boden ge fallen, und zuckte zusammen. »Ist noch jemand hier?«, fragte er.
»Nur mein Kater«, erklärte Charlotte Vollmer. »Er ist manchmal ein bisschen wild.«
»Mein Problem war Folgendes«, fuhr Marc fort. »Wenn es dem oder den Tätern um Frau Reicherts Lebensversicherung ging, warum hätten sie dann die DVD mit der Aufnahme von ihrem Tod an die Polizei schicken sollen? Auf der DVD ist ein vermeintlicher Selbstmord zu sehen, und in dem Fall hätte die Lebensversicherung nicht zahlen müssen, da der Vertrag erst zwei Jahre vor Frau Reicherts Tod abgeschlossen worden ist.«
»Eben. Deshalb habe ich diese
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