Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia
wissen wir nicht, ob sie leben darf oder sterben muss. Vergiss das nicht.“
Darion verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum legen wir sie nicht gleich um?“
Gracia seufzte. „Weil die Zeiten sich geändert haben, Liebster. Wir brauchen keine Polizei, die uns eine Spezialeinheit auf den Hals hetzt. Vielleicht weiß unser armes Seelenblut ja gar nicht das, was wir wissen wollen. Vielleicht sind die Geschichten über die Priesterinnen nur düstere Legenden. In dem Fall löschen wir ihr Wissen und schenken ihr das Leben. So fein haben wir uns inzwischen an diese Zeiten angepasst.“ Ihre Stimme troff vor Ironie. „Wir sind für die Öffentlichkeit handzahm geworden und haben das Ding in uns entdeckt, das sich Gehirn nennt. Zumindest einige von uns.“
Aurelius schluckte hart. „Wenn wir Amalias Wissen löschen, wird sie wahnsinnig werden. Sie wird nicht damit umgehen können, diese Teile ihrer Erinnerung entrissen zu bekommen.“
Gracia zog ihren Fächer und klappte ihn auf. Die Flamme der Kerze flackerte durch die schnelle Bewegung. „Wir haben immer Opfer gebracht. Und dieses Opfer ist gering.“ Sie sah Aurelius herausfordernd an. „Siehst du das ebenso, oder muss ich deine Loyalität infrage stellen?“ Sie richtete die verborgenen Metallspitzen des Fächers auf seine Kehle.
Aurelius senkte den Blick. „Ich werde Amalias Vertrauen gewinnen und tun, was der Klan von mir verlangt.“
Gracia senkte den Fächer, stand auf und warf ihm einen gönnerhaften Blick zu. „Genau das wollte ich hören. Darion, du hältst Wache, falls die Wölfe sich auf unsere Spur setzen. Und du, Aurelius, beschützt das Seelenblut. Vorerst darf ihr kein Haar gekrümmt werden.“
Aurelius nickte. Zumindest mit diesem Teil seiner Aufgabe war er mehr als einverstanden.
F RANKREICH , V ERGANGENHEIT
Marie griff nach der Hand des Adeligen, der sich ihr als Aurelius de Dubais-Montfarcon vorgestellt hatte. Auf seinem Pferd waren sie ein gutes Stück geritten und hatten ein Anwesen mitten auf dem Land zwischen Montbéliard und Dijon erreicht.
Sie betrachtete staunend das schöne Haus mit dem weiten, weißen Garten und der traumhaften Parkanlage. Auf den Dächern glitzerte Schnee. Ihr als arme Pariserin erschien das Anwesen wie ein Schloss aus einem Märchen.
Sie gingen auf das Hauptportal zu, zu dem eine Treppe nach oben führte. Eben öffnete sich die Tür und eine Frau mit langen schwarzen Haaren trat hervor. Es war die schönste Frau, die Marie je gesehen hatte. Glutvolle schwarze Augen sahen sie an. In diesem Blick schien ein rotes Funkeln zu liegen, als brenne darin das Feuer des Teufels.
Marie schauderte.
„Hab keine Angst“, sagte der braunhaarige Mann an ihrer Seite. „Wenn du tust, was man dir sagt, wirst du es gut bei uns haben.“
„Ihr wart weit von Eurem Anwesen fort, als Ihr mich fandet, Herr. Habt Ihr nach mir gesucht? Oder habt Ihr den Wolf gejagt?“
Aurelius‘ Griff um ihre Hand wurde schmerzhaft fest. „Keine Fragen, kleine Marie. Und wenn Gracia näher kommt und dich ansieht, sinkst du vor ihr auf die Knie und bringst ihr mindestens so viel Ehrerbietung entgegen, als wäre sie Marie Antoinette persönlich.“
Marie nickte. In ihre Augen traten Tränen, so fest drückte er zu.
Gracia kam näher. Sie schien über die Treppe zu schweben, ganz so, als berührten ihre Füße den Boden nicht beim Gehen. Marie sank artig auf beide Knie in den Schnee und schwieg.
Die Frau in dem reich verzierten Brokatkleid lächelte dünn. „Du hast dir also etwas zum Spielen mitgebracht?“
Aurelius trat vor. Die Augen von Marie weiteten sich, als sie sah, wie er seine Arme um Gracia schlang und ihr ganz ungebührlich einen Kuss auf den Mund gab. Marie konnte Aurelius Zunge sehen, die in den Mund der schönen Frau glitt.
Hier regiert der Teufel
, dachte sie schaudernd. Sie fror nicht nur wegen der Kälte, die vom Schnee her auf sie übergriff.
„Schön, dass du zurück bist“, sagte Gracia zärtlich. „Rene wird bald ankommen, wegen der Verhandlungen. Wir müssen die Wölfe endlich ausrotten.“
Aurelius wies auf den Wolfspelz, der auf seinem Pferd lag. „Gabriel“, sagte er leise.
Gracia lächelte breit. „Gute Nachrichten, mein Soldat. Ich nehme an, du möchtest dich mit Darion besprechen?“
Aurelius verzog den Mund. „Wenn du es wünschst.“
„Ich wünsche es. Ich kümmere mich so lange um das da.“ Sie wies auf die zitternde Marie.
Aurelius verneigte sich knapp und winkte einem Diener zu, der
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