Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia
hervor, weil sie ganz in Rosa gehüllt war. Das knappe rosa Kleidchen wurde von weißen Plüschlackstiefeln und einer rosafarbenen Perücke mit langen künstlichen Ohren ergänzt. Amalia stellte neidlos fest, dass die großäugige Fremde die passende Figur für dieses kaum vorhandene Kleid hatte. Der Ausschnitt ermöglichte einen tiefen Einblick auf ein geschlängeltes Tattoo in weichen Farben.
„Niedlich“, sagte Aurelius ausdruckslos, als er ihren Blick bemerkte. „Aber ich bevorzuge Schwarz.“ Er fasste ihre Hände.
Amalia sah zu ihm auf und glaubte, Hunger in seinen Augen zu sehen.
Die Fahrt dauerte einige Zeit. Lange genug, um all die Outfits zu bewundern und Teile der ausgelassenen Gespräche zu hören. Aurelius schaffte es nach der Hälfte der Fahrt, ihnen einen Sitzplatz zu ergattern, als ein älterer Mann aufstand. Der Mann lächelte ihm freundlich zu. Von einem Unmut über die schwarze Besatzung der Stadt war ihm nichts anzumerken. Die meisten Leipziger mochten das Festival, auch die alt eingesessenen.
Amalia stieß einen überraschten Laut aus, als Aurelius sie auf seinen Schoß zog. Er hatte so viel Kraft, dass sie keine Chance hatte, sich gegen seinen Griff zu wehren. Aber das wollte sie auch gar nicht. Mit geschlossenen Augen lehnte sie an seiner Brust.
Das Gefühl war warm und vertraut. Die Fahrt war trotz der vielen Stationen viel zu früh zu Ende. Gerne wäre sie weitergefahren, irgendwohin, solange sie nur nah bei ihm sein konnte.
Amalia lächelte, als sie ausstiegen und die lange Schlange der Goths sahen, die noch auf ihr Bändchen warteten. Sie hörte die üblichen Austausche: „Geht doch zur Moritzbastei, zum Mittelaltermarkt, da ist viel weniger los.“ Aber kaum einer hörte auf die Ratschläge, auch wenn ihnen das viel Wartezeit erspart hätte.
Viele neidvolle Blicke trafen sie, als sie an der Schlange der Wartenden vorbeigingen und direkt in den Durchlassbereich vorstießen.
Das Gelände der Agra war riesig. Eigentlich war es eine graue, nichtssagende Fläche, aber mit all den Menschen, die unterwegs waren, gewann selbst Beton an Flair. Es roch nach Gebratenem und Frittiertem. Am Ende der langen Zufahrt standen auf der rechten Seite mehrere Fressstände auf dem Platz zwischen der Agra und dem Zeltlager.
Aurelius zog sie zu einem Stand mit Fisch und Meeresfrüchten. Sie aßen panierte Garnelen und betrachteten das Treiben.
„Eigentlich müssten dir die Füße nach dem Marsch durch die Stadt übelste Schmerzen bereiten“, sagte er mit einem Blick auf ihre Stiefel.
„Es geht schon. Die Stiefel sind okay. Ich habe Schuhe, da hätte ich Blasen.“
Er grinste und nickte anerkennend. „Du hast die Ausdauer einer Untoten.“
Sie grinste zurück. „Du hast mich noch nicht beim Einkaufen in der Agra erlebt.“
„Klingt wie eine Drohung.“
Er griff nach ihrer Hand, kaum dass sie mit Essen fertig war. Amalia ließ es sich gerne gefallen. Je näher sie seinem Körper sein konnte, desto besser. Sie blickte in seine samtigen braunen Augen. Mittlerweile empfand sie es als ein verdammtes Glück, dass Kim abgesagt hatte. An ihrer Seite hätte sie Aurelius nie kennengelernt.
Vielleicht wurde das das beste Festival ihres Lebens.
Sie betraten die Agra im vorderen Bereich. In der riesigen Halle empfing sie ein Stand neben dem anderen. Amalia bestaunte die ausgestellten Waren. Perücken in allen Farben und Formen, Kleider, Kleider, Kleider, Bücher, CD’s. An jeder Ecke erwartete sie eine neue Überraschung, obwohl sie die meisten Läden schon kannte. Aber nirgendwo sonst schlug ihr Herz beim Einkaufen höher.
Sie blieben an einem Stand der „Schlagzeilen“ stehen und beobachteten eine Performance gegenüber. Ein Mensch – es war nicht zu erkennen ob Mann oder Frau – steckte in einem Gummianzug, das Gesicht war verschwunden. Amalia vermutete, dass es ein Mann war. Er kauerte auf allen Vieren und eine hochgewachsene Frau in Latex saß auf seinem Rücken und las ein Buch.
Amalia lief ein leichter Schauer über den Rücken. „Ganz schön mutig, sich so in der Öffentlichkeit zu präsentieren.“
Aurelius wies auf ein Pärchen. Der Mann trug ein ledernes Halsband und eine dünne silberne Leine. Er wurde von seiner Herrin durch die Halle geführt. „Das da gefällt mir besser. Nur die Rollenverteilung könnte anders sein.“
Amalia spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie hatte diese Spielart schon länger ausprobieren wollen, aber keinen passenden Mann und keine passende
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