Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia
überschlagen droht.“ Sie ging auf Marie zu und blieb dicht vor ihr stehen. Marie konnte den bitteren Geruch nach Mandeln und Weihrauch, der Rene umgab, riechen. Sie wagte es nicht, aufzusehen und versuchte verzweifelt, nicht an ihre Flucht zu denken. Sie musste sich auf etwas anderes konzentrieren, damit sie sich nicht verriet. So schwer war das nicht. In ihren Gedanken stiegen Bilder auf – die Vergangenheit. Bilder, die immer wieder Gracia zeigten und ihre perversen Spiele. Gracia, die lachend über ihr stand, die sie an Leinen im Park spazieren führte, sie an der Wand gefesselt auspeitschte, sie wieder und wieder demütigte und züchtigte.
Rene ging vor ihr in die Hocke. „Wie brav dieses Geschöpf seinen Blick gesenkt hält. Du leistest wirklich gute Arbeit, Gracia.“
„Du kannst mit ihr machen, was du möchtest. Sie ist nicht wichtig. Betrachte sie als Geschenk einer Vertrauten.“
Marie hielt vor Schreck den Atem an.
Renes Hand fuhr vor – schneller, als es einem Menschen möglich war – und riss mit einer einzigen Bewegung des Zeigefingers das lange Kleid auf. Marie fühlte den kalten Luftzug der schnellen Bewegung, sah die flackernden Kerzen in den hohen Ständern vor den dunkelroten Vorhängen.
Rene betrachtete ihre nackten Brüste. „So wenig Schnitte und Bisse. Ist ihr Blut nicht gut?“
„Ich bevorzuge andere Spiele.“
„Du verachtest, was unsere Natur ist.“ Rene beugte sich vor. Zwei scharfe Zähne durchbohrten Maries Haut und sie konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken. Sie schlug mit den Fäusten auf Renes Brust ein. Die Dämonin zuckte nicht einmal zusammen. Sie zog heftig an der Wunde, trank das hervorquellende Blut. Schluck um Schluck wurde Marie schwächer. Ihre Gegenwehr erstarb.
Rene labte sich an ihr, bis sie plötzlich den Kopf hob. Marie sah das Blut auf ihrem asketischen Gesicht. Ihr wurde übel und schwindelig. „Ein so süßes Blut habe ich nicht mehr getrunken, seit ich diesen Mönch in Avignon getötet habe. Ein so sturer, gottesfürchtiger Mann. Er wollte gerade eine Frau verbrennen, die er geschändet hatte, um sie zu läutern. Angeblich eine Hexe. Da sein göttlicher Samen versagt hat, sie zu reinigen, wollte er sie dem Feuer schenken.“
„Du hast eine gute Tat vollbracht?“ Gracias Stimme war spöttisch. „Wirst du auf deine alten Tage so sentimental wie unser feinfühliger Aurelius?“
Rene zog ein einfaches Taschentuch aus dem Ärmel der Kutte und wischte sich mit dem Stoff das Blut aus dem Gesicht. „Ich habe sie beide getötet. Zuerst ihn, damit sie zusehen und Hoffnung schöpfen konnte. Dann sie. Es war herrlich.“
Obwohl Marie benommen war, entging ihr nicht das kurze Zucken auf Gracias Gesicht. Sie kannte dieses Zucken. Gracia war angewidert von dem, was sie hörte. Auch Rene war das kleine Anzeichen der Verachtung nicht entgangen.
„Kommen wir endlich zum geschäftlichen Teil dieser Audienz, Prinzessin Gracia“, spottete die hagere Frau. Ihre blauen Augen schimmerten unnatürlich. Sie wirkten wie zwei Flammen in der Nacht.
„Bitte schön.“ Gracia stand auf. „Aber zuerst kümmere ich mich um Das da.“ Würdevoll schritt sie auf Marie zu und zog sie mit einer Hand in die Höhe. Ihre dunklen Augen richteten den Blick auf sie. Marie war zu schwach, Gegenwehr zu leisten. Sie spürte, wie Gracia nach ihrem Geist griff. Wie sie tiefer und tiefer in ihr Wissen drang. Sie hatte Glück im Unglück. Müde und erschöpft dachte sie nur an den Schmerz.
„Du wirst nichts hören von dem, was wir sagen. Jedes Wort sollst du vergessen von jetzt an, bis zu deinem Tod.“
Sie ließ Marie fallen, als habe sie sich verbrannt.
Rene lächelte. „Sehr freundlich von dir, uns den guten Schluck dazulassen. Vielleicht nehme ich mir später noch davon.“
„Kommen wir endlich zur Sache.“
Sie sagte noch mehr, doch die Worte schlangen sich ineinander, wurden ein mäanderndes Rauschen, ein unverständlicher Fluss.
Marie gab es auf, sie verstehen zu wollen.
Müde schloss sie die Augen. Sie wollte nur fort, ganz weit fort.
Als Gracia sie Stunden später entließ, torkelte sie fahl und kraftlos in den Stall.
Alain sagte nichts. Er schloss sie kurz in die Arme und hob sie auf das Pferd, ehe er selbst aufstieg.
Marie wusste, warum er schwieg. Die Wände des Anwesens hatten Ohren, und jedes Wort konnte zum Verräter werden. Erst als sie einige Hundert Meter vom Anwesen entfernt waren, flüsterte er: „Wir schaffen das. Du wirst sehen.“ Er legte
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