Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia
Vampire. Sie alle waren so unglaublich dumm und widerten sie an.
Maruts Worte hallten in ihr nach. Ja, es würden Vampire sterben. Aber das war nicht alles. Lai‘raa war der Ursprung. Die Älteste. Wenn sie erweckt wurde, und sich nicht erinnerte, dann würde sie auf der Erde wüten und nicht nur Vampire vernichten, sondern auch Menschen töten. Es würde niemanden geben, der ihr Einhalt gebieten konnte. Es sei denn, sie war so verdummt, dass es mit Waffengewalt gelang. Mit Panzerfäusten und Düsenjets vielleicht, sofern Lai‘raa mit ihnen nichts anfangen konnte, weil ihre Jahrtausende andauernde Starre sie einige interessante Entwicklungen hatte verpassen lassen.
Aber was war, wenn Lai‘raa nicht verdummt war? Wenn sie die Macht der Ersten hatte, die Geheimnisse ihrer Zeit bewahrte und zurückkehrte? Damals war die Welt dunkler gewesen, die Zauber stärker. Rituale hatten tatsächlich Macht besessen. Man konnte Tore öffnen und Dämonen rufen oder Menschen in Bestien verwandeln. So hieß es zumindest in den Legenden. Sie fragte sich, ob die Mythen einen wahren Kern hatten. Keiner von ihnen konnte sich die Ankunft von Lai‘raa wirklich vorstellen, selbst Rene nicht. Sie war genauso eitel und verblendet wie Marut und all die anderen. Sie spekulierte darauf, Lai‘raa als Waffe nutzen zu können, um ihre unglaubliche Machtgier zu stillen.
Aber was bekümmerte es sie? Im Grunde konnte es ihr egal sein. Vielleicht war es sogar interessant, zu beobachten, wie die Vampire einander an die Gurgel gingen und dabei in das Kreuzfeuer der Menschen gerieten.
Marut tauschte am Telefon ein paar Worte und legte auf.
„Sie verweigert uns das Rudel. Wir sollen zu viert vorgehen.“
Kamira fauchte. „Was will sie?“
„Hekaes Tod. Die Seherin muss weg. Außerdem sollen wir ihr das Seelenblut nach Berlin bringen. Unversehrt.“
„Das wird schwierig.“
Marut ließ sich auf das Sofa fallen und sah sie herausfordernd an.
„Schwierig, ja. Aber nicht unmöglich. Gehen wir das Problem an.“
Es klopfte an der Zimmertür. Amalia öffnete, und sah Grace vor sich stehen. Die Dunkelhaarige lächelte und zeigte auf eine schwarze Tasche in ihrer Hand.
„Aurelius meinte, du bräuchtest vielleicht noch Hilfe beim Schminken und mit den Accessoires.“
„Klar, warum nicht.“ Amalia versuchte, das offene Lächeln zu erwidern und scheiterte kläglich. Grace sah umwerfend gut aus. Gegen ihre Schönheit konnte kein irdisches Wesen konkurrieren. Umso besser, dass diese Frau ihr helfen wollte. Hastig trat sie zurück und öffnete die Tür.
Grace trat mit der ihr eigenen Würde ein und ließ sich in den breiten Sessel sinken.
„Ein nettes Kleid“, bemerkte sie, als sie Amalias Schatz entdeckte, den sie auf dem Mittelaltermarkt gekauft hatte. Aurelius hatte die Tüte aus dem orientalischen Zelt geholt. Zum Glück hatte der Standinhaber sie gefunden und zur Seite gelegt.
Grace‘ Stimme klang abfällig. „Nicht unbedingt authentisch, aber ein netter Versuch.“
„Ein echtes Kleid wäre natürlich schöner, aber ungleich teurer.“ Sie hatte das Gefühl, ihren Kauf verteidigen zu müssen und ärgerte sich gleichzeitig darüber.
Etwas an dieser Frau regte sie auf. Warum rechtfertige sie sich ihr gegenüber überhaupt?
Im Grunde war das kein Wunder, dafür musste sie Grace nur ansehen. Wenn ihre Freundin Kim stilsicher war, dann war Grace ein Lifestyle-Gourmet. Das, was sie am Körper trug, konnte eine ganze Familie für mehrere Wochen ernähren. Das lange rote Samtkleid, der Schmuck samt der teuren Steine, die funkelten wie echte Granatsteine – vermutlich waren sie das auch, Amalia wollte lieber nicht nachfragen. Plötzlich hatte sie Hemmungen, sich vor Grace auszuziehen und ihr die Zehn-Euro-Unterwäsche zu präsentieren, die sie trug.
Das war lächerlich. Seit wann machte sie sich so viel aus der Meinung von anderen Leuten? Wenn Grace ihre Unterwäsche nicht passte, konnte sie ja gehen.
Sie zog ihr Oberteil aus.
„Interessante Hämatome“, merkte Grace an.
Amalia spürte, wie heiß ihr Gesicht war. Sie hatte tatsächlich ein paar blaue Flecken am Arm, die von ihrem Sturz und Aurelius‘ Griff am Nachmittag stammten. Auch an ihrem Rücken waren Schrammen von dem Baumstamm, gegen den Aurelius sie gepresst hatte.
„Ich bin gestürzt.“
„Auf Aurelius?“
„Stört dich das? Ich dachte, du seist mit Darion zusammen.“
„Zusammen … nun … das ist eine Frage der Gesinnung oder Interpretation.“ Grace stand auf
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