Schwarz auf Rot
schwanger. Ist der Reis einmal gekocht, kann man das nicht mehr rückgängig machen. Als das Baby zur Welt kam, war keine Rede mehr von einem schönen neuen Apartment. Kurz darauf machten die Hotels pleite.
Seine Behausung in den Slums lag auf einem Gelände, das für ein neues Wohngebiet vorgesehen war. Die me i sten Gebäude dort waren schon abgerissen worden, aber einige Familien weigerten sich zu gehen, bevor ihre Fo r derungen erfüllt würden. Sie wohnen noch immer dort. Man nennt sie die › Nagel ‹-Familien, weil sie wie Nägel gewaltsam aus dem Holz gezogen werden müssen. Die Stadtregierung versucht, den Nägeln das Leben so schwer wie möglich zu machen; man schaltet ihnen i m mer wieder zeitweilig Strom und Wasser ab, und dann zieht Cai zu Xiuzhen in die Schatzgartengasse.«
»Eine eigentümliche Liebesgeschichte«, sagte Yu, der den Alten auf das Wesentliche bringen wollte. »Und was macht dieser Cai jetzt?«
»Nichts. Im Sommer verdient er sich ein bißchen Geld mit Grillenkämpfen. Genauer gesagt mit den Wetten, die auf die Grillen abgeschlossen werden. Es heißt, er hätte Kontakte zu den Triaden, das käme ihm bei derartigen Geschäften zugute. Was er den Rest des Jahres treibt, weiß niemand so recht. Er ist nicht offiziell arbeitslos gemeldet wie sein Schwager Zhengming , der den ga n zen Tag in der Gasse herumlungert. Xiuzhen ist noch immer ein hübsches junges Mädchen; sie gleicht einer frischen Blume, die auf einem Misthaufen erblüht.«
»Das können Sie laut sagen«, erwiderte Yu, zweifelte jedoch an der Stimmigkeit dieser alten Redewendung, da Mist für eine Blume ja eigentlich Nährstoffe bot. »Macht Cai seine Wettgeschäfte hier in der Gasse?«
»Nein, die Grillenkämpfe finden nicht hier in der Nachbarschaft statt. Damit die Sache wirklich etwas ei n bringt, muß er sich an die Neureichen halten, die auch mal ein paar Tausender auf so ein Tierchen setzen«, e r klärte Alter Liang. »Einmal neureich, immer neureich. Die Leute behaupten, daß er noch immer mehr verdient, als die meisten hier in der Gasse.«
»Und was ist mit Zhengming?«
»Ein Taugenichts. Seit der aus der Schule ist, hat er nicht eine ordentliche Arbeit gehabt. Keine Ahnung, wie er sich durchschlägt. Inzwischen hat er auch noch eine Freundin, die bei ihm wohnt, und die hat auch keine A r beit.«
»Unterstützt ihn seine Mutter?«
»Ja. Ich kann diese jungen Leute nicht verstehen. Die Welt geht wirklich vor die Hunde.« Dann fügte Alter Liang hinzu: »Aber um ihn müssen wir uns nicht kü m mern. Er hat sich vor zehn Tagen das Bein gebrochen und kommt kaum raus aus seiner Dachkammer.«
»Und Cai – abgesehen von seiner Vorgeschichte?«
» Geschichte ist wie ein Spiegel, sie zeigt dem Me n schen, wer er wirklich ist. Einmal ein Krimineller, immer ein Krimineller.«
»Auch ein Zitat des Großen Vorsitzenden«, bemerkte Yu beiläufig.
»Cai behauptet, an jenem Morgen nicht hiergewesen zu sein, sondern bei seiner Mutter in der ›Nagel‹-Siedlung. Aber dafür haben wir bislang nur sein Wort.«
»Ich werde das überprüfen.«
Er war sich nicht sicher, ob eine Befragung dieser be i den Zeugen ergiebig sein würde. Als Alter Liang sich dann an die Beschaffung weiterer Hintergrundinform a tionen machte, entschied sich Yu für eine andere Vorg e hensweise. Er rief Qiao Ming, den ehemaligen Dekan der Kaderschule, an, den Yin bei der Gedenkfeier angespuckt hatte.
Mit Peiqin hatte er darüber gesprochen, ob Qiao mö g licherweise ein Mordmotiv haben könnte. Obgleich Yin in ihrem Buch keine Namen genannt hatte, konnten sich einige Leute durch die offenkundig autobiographischen Bezüge des Romans irritiert fühlen. Wan, ihr Nachbar aus dem Oberstock, war nur ein Beispiel. Im Grunde konnte jeder, der in der Kaderschule gewesen war, sich bedroht fühlen, da Yin möglicherweise ein zweites Buch mit noch kompromittierenderen Details veröffentlichen würde.
»Glauben Sie kein Wort von dem, was sie in Tod eines chinesischen Professors geschrieben hat«, legte Qiao sofort los. »Nichts als Lügen.«
»Tod eines chinesischen Professors ist ein Roman, das ist mir klar. Aber ich ermittle in einem Mordfall, Geno s se Qiao, deshalb muß ich alle Aspekte berücksichtigen.«
»Mir meinerseits ist klar, Genosse Hauptwachtmeister Yu, warum Sie mit mir sprechen wollen, aber lassen Sie mich eines vorausschicken. Wir müssen die Ereignisse während der Kulturrevolution in ihrem historischen Ko n text betrachten. Keiner von uns
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