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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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konnte damals die großen Veränderungen voraussehen, die noch kommen sollten. Damals haben wir alle einfach nur an Mao geglaubt.«
    »Keine Frage, Genosse Qiao, jeder hat an den Großen Vorsitzenden geglaubt.«
    »Das Buch schlägt Kapital aus den Repressalien, die die beiden in der Kaderschule erdulden mußten. Aber das war eben kein Ort für eine romantische Liebesbeziehung – nicht zur damaligen Zeit. Das Ziel war, laut Mao, die Leute dort umzuerziehen. Nach diesem Anruf aus Peking wegen der Gedichte Maos hat die Kaderschule Yang das Privileg zugestanden, Zugang zu Büchern und Lexika zu erhalten. Das war damals eine große Ausnahme. Dann informierte uns jemand darüber, daß er an einem Buch schrieb, aber wir haben zunächst in keiner Weise eing e griffen. Für Yang waren das keine verlorenen Jahre, wie Sie sehen.«
    »Haben Sie herausgefunden, woran er schrieb?«
    »Als er später in Isolationshaft war, haben wir sein Wohnheimzimmer durchsucht, aber nichts gefunden. Möglicherweise war es ein englisches Manuskript.«
    »Bitte erzählen Sie mir genauer, wie er gestorben ist.«
    »Der Sommer damals war schrecklich heiß. Wir alle haben in den Reisfeldern gearbeitet wie die ansässigen Bauern, das war nicht allein Yangs Los. Viele sind se i nerzeit erkrankt. Natürlich hätten wir mehr für ihn tun können, wenn wir gewußt h ätten, wie krank er war … Aber vielleicht war ihm das selbst nicht klar. Die Kade r schule lag in Qingpu. Damals gab es kaum Transpor t möglichkeiten. In jenen Jahren war dort kein einziges Taxi verfügbar. Wie kann man die Kaderschule für se i nen tragischen Tod verantwortlich machen?«
    »Es wäre sicher zu viel gesagt, wenn man behaupten wollte, er sei Opfer politischer Verfolgung geworden. Aber andererseits kann man auch Yin verstehen. Sie hat in diesen Jahren viel gelitten.«
    »Das ging mir genauso«, versetzte Qiao. »Die ganzen Jahre habe ich in der Kaderschule gearbeitet. Hat mir das vielleicht etwas gebracht? Nein, ganz im Gegenteil! Am Ende der Kulturrevolution mußte ich mich zwei Jahre lang einer sogenannten politischen Überprüfung unte r ziehen. Meine Frau hat sich von mir scheiden lassen. Sie hat mich fallengelassen, wie eine dreckige Socke.«
    »Nur eine Frage noch. Wo waren Sie am Morgen des 7. Februar?«
    »Ich war in Anhui, wo ich für meine Firma Schulden eingetrieben habe. Mehrere Leute, einschließlich des H o telpersonals, können das bestätigen.«
    »Vielen Dank, Genosse Qiao. Ich denke, das war ’ s für heute. › Blicken Sie in die Zukunft‹, wie es in der Volk s zeitung immer heißt.«
    Der Anruf hatte ihn nicht weitergebracht, war aber auch nicht ganz umsonst gewesen. Immerhin hatte Yu erfahren, daß Yang seine literarische Arbeit weiterve r folgt hatte. Das Resultat konnte durchaus jenes Man u skript mit Übersetzungen chinesischer Liebesgedichte sein, das sie in Yins Bankschließfach gefunden hatten. Auch bestätigte sich einmal mehr die Maxime des Alten Jägers, daß die Vergangenheit immer gegenwärtig war. Selbst zwanzig Jahre später sahen die Menschen die Ku l turrevolution noch immer so, wie sie es sich im Lauf der Ereignisse zurechtgelegt hatten.
    Er nahm die Kassette aus dem Apparat, auf der er das Gespräch mitgeschnitten hatte. Oberinspektor Chen wü r de das sicher interessieren, dachte Yu und wählte die Nummer seines Chefs.
    »Man kann natürlich jeden im Gebäude verdächtigen«, sagte Chen, nachdem er sich Yus kurzen Bericht ang e hört hatte. »Aber wenn alle verdächtig sind, dann haben Sie keinen wirklichen Verdächtigen.«
    »Genauso ist es«, sagte Yu. »Und der Alte Liang sieht nur, was er sehen möchte.«
    »Er arbeitet schon zu lange als Nachbarschaftspolizist, und was in den Jahren des Klassenkampfs von Bede u tung war, ist heute kaum noch relevant. Aber er kann nicht anders, als die Welt von seinem überholten Stan d punkt aus zu betrachten«, sagte Chen. »Su Dongpo hat das einst wunderbar formuliert: Du kannst das wahre Gesicht der Lu-Berge nicht erkennen, solange du dich in ihnen aufhältst.«
    Das war wieder typisch Chef. Inmitten einer dringl i chen Ermittlung zitierte er seine toten Dichter. Manchmal konnte einem diese Marotte wirklich auf die Nerven g e hen.
    Mit diesen Überlegungen ging Hauptwachtmeister hinüber zum shikumen.
    Cai war nicht zu Hause. Lindi, eine Frau Ende Vierzig mit feingeschnittenen Gesichtszügen, traf er im Hof an, wo sie die Spiralhäuser von Flußschnecken mit einer r o stigen Schere öffnete.

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