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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sie sicher auch einige
    Ruinen.
    Besonders in Schottland sind alle Ruinen von Gespens-
    tern bewohnt; so glaubt man wenigstens in den Hochlan-
    den wie in den Ebenen.
    Die ältesten und gleichzeitig berüchtigsten Ruinen die-
    ser Küstenstrecke waren nun die eines Schlosses Robert
    Stuarts, das den Namen Dundonald Castle führt.
    Zur Zeit unserer Erzählung stand dieses Schloß von
    Dundonald schon lange, lange Jahrhunderte ganz leer und
    diente nur umherirrenden Geistern als Zuflucht. Niemand
    besuchte es auf dem hohen, am Meer emporragenden Fel-
    sen, 2 Meilen von der Stadt. Einzelne Fremde gerieten wohl
    auf den Einfall, diese alten, historischen Ruinen näher in
    Augenschein zu nehmen, dann mußten sie den Weg aber al-
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    lein zu finden wissen. Die Einwohner von Irvine hätten sie
    um keinen Preis der Welt dorthin geführt. Daran mochten
    hauptsächlich die Erzählungen von gewissen ›Feuerhexen‹
    schuld sein, die das Schloß unsicher machten.
    Die Abergläubischen behaupteten, jene phantastischen
    Wesen gesehen, mit eigenen Augen gesehen zu haben. Jack
    Ryan gehörte natürlich zu den letzteren.
    Die Wahrheit daran war, daß von Zeit zu Zeit, bald über
    einer halb zusammengefallenen Mauer, bald an der Höhe
    des Turms, der die Ruinen von Dundonald Castle überragt,
    lange Flammen sichtbar wurden.
    Ähnelten sie wirklich der Gestalt eines Menschen, wie
    man allgemein behauptete? Verdienten sie den Namen ›Feu-
    erhexen‹, den ihnen die Uferbewohner beilegten? Offenbar
    lag hier nur eine der großen Leichtgläubigkeit zuzuschrei-
    bende Täuschung vor, während eine nüchterne Prüfung die
    ganze Erscheinung leicht auf ihre physikalischen Ursachen
    zurückgeführt hätte.
    Wie dem auch sei, die Feuerhexen standen in der ganzen
    Umgebung in dem Ruf, die Ruinen des alten Schlosses häu-
    fig zu besuchen und dort, besonders in dunklen Nächten,
    ihre wilden Tänze und Gesänge aufzuführen. Ein so muti-
    ger Bursche Jack Ryan auch war, er hätte doch nimmermehr
    gewagt, jene dabei auf seinem Dudelsack zu begleiten.
    »Für sie ist der eisgraue Nick schon genug«, sagte er;
    »der braucht mich nicht, sein Orchester zu verstärken.«
    Man wird leicht glauben, daß diese seltsamen Erschei-
    nungen den obligaten Text der Vorträge bei den Abendver-
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    einigungen abgaben. Jack Ryan besaß ein ganzes Repertoire
    Legenden von den Feuerhexen und kam niemals in Verle-
    genheit, wenn die Sprache auf dieses Thema kam.
    Auch bei der letzten Abendgesellschaft des Irviner Fests,
    bei der reichlich Ale, Brandy und Whisky flossen, verfehlte
    Jack Ryan nicht, zum großen Vergnügen und doch auch
    zum heimlichen Grauen der Zuhörer, sein Lieblingsthema
    wieder aufzunehmen.
    Diese Versammlung fand in einer großen Scheuer der
    Meierei von Melrose, nah dem Ufer der Bai, statt. In der
    Mitte der Teilnehmer loderte ein tüchtiges Koksfeuer auf
    einem eisernen Dreifuß.
    Draußen tobte ein schweres Wetter. Über die Wellen jag-
    ten dichte Dunstmassen dahin, unter denen die Wellen, von
    einem steifen Südwest getrieben, der Küste zueilten. Bei der
    pechschwarzen Nacht, ohne jede hellere Stelle am Himmel,
    flossen Erde, Himmel und Wasser in der Finsternis zusam-
    men und mußten jede Landung in der Bai von Irvine außer-
    ordentlich erschweren, falls sich ein Schiff bei dem heftigen,
    auf die Küste zutreibenden Wind hineinwagte.
    Der kleine Hafen von Irvine ist nicht stark besucht, we-
    nigstens nicht von Fahrzeugen mit einigermaßen größerem
    Tonnengehalt. Größere Dampf- und Segelschiffe steuern
    auf das Land etwas nördlicher zu, wenn sie in den Golf von
    Clyde einfahren wollen.
    An jenem Abend aber hatte ein am Strand zurückge-
    bliebener Fischer nicht ohne Verwunderung ein Fahrzeug
    bemerkt, das auf die Küste zuhielt. Wäre es plötzlich Tag
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    geworden, man hätte nicht mit Erstaunen, sondern mit Ent-
    setzen erkannt, daß das Fahrzeug, mit dem Wind im Rü-
    cken und mit aller Leinwand, die es tragen konnte, darauf
    zu segelte. Verfehlte es aber einmal den Eingang des Golfs,
    so fand es keine rettende Bai an den mächtigen Felsen des
    Ufers. Wenn dieses unvorsichtige Schiff sich noch weiter
    näherte, war nicht einzusehen, wie es wieder werde abkom-
    men können.
    Die Abendgesellschaft sollte eben nach einem letzten
    Lied Jack Ryans geschlossen werden. Die einmal in die Welt
    der Phantome versetzten Zuhörer waren gerade in der Ver-
    fassung, gegebenenfalls ganz ihrem Aberglauben gemäß

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