Schwarz-Indien
legte und zwischen einigen Klip-
pen festsaß, hielt sie auf.
Gerade in diesem Augenblick verschwand durch ein fast
wunderbar zufälliges Zusammentreffen die lange Flamme,
als habe sie ein heftigerer Windstoß entführt. Das Meer, der
Himmel und der Strand verhüllte wieder die undurchdring-
liche Finsternis.
»Die Feuerhexe!« hatte Jack Ryan zum letzten Mal aus-
gerufen, als jene für ihn und seine Kameraden übernatür-
liche Erscheinung plötzlich unsichtbar wurde.
Fehlte es den abergläubischen Schotten aber vorher an
Mut gegenüber einer eingebildeten Gefahr, so gewannen sie
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diesen einer tatsächlichen gegenüber bald wieder, als es sich
um die Rettung bedrohter Menschenleben handelte. Die
entfesselten Elemente konnten sie nicht zurückschrecken.
Sie sicherten sich selbst möglichst durch umgeschlungene
Taue und stürzten sich – jetzt ebenso entschlossen, wie vor-
her abergläubisch – in das Meer, dem verunglückten Schiff
Hilfe zu bringen.
Ihr Wagestück gelang, freilich nicht, ohne daß der eine
oder der andere – und Jack Ryan gehörte zu ihnen – sich an
den Felsen unter dem Wasser ziemlich ernsthaft verletzte;
der Kapitän des Schiffes aber und dessen aus acht Mann be-
stehende Besatzung wurden heil und gesund an Land ge-
bracht.
Jenes Schiff, die norwegische Brigg ›Motala‹, mit einer
Ladung Holz aus dem Norden, hatte nach Glasgow segeln
wollen.
Es verhielt sich, wie man vermutete. Getäuscht von dem
Feuer auf dem Schloßturm von Dundonald, war der Kapi-
tän direkt auf die Küste zugesteuert, wo er in den Golf von
Clyde einzulaufen glaubte.
Von der ›Motala‹ schwammen bald nur noch einige
Wrackstücke umher, die von der Brandung an den Felsen
des Ufers vollends zertrümmert wurden.
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12. KAPITEL
Jack Ryans Nachforschungen
Jack Ryan wurde mit drei seiner ebenfalls verwundeten Ge-
fährten in ein Zimmer der Meierei zu Melrose geschafft, wo
man allen die sorgfältigste Pflege widmete.
Jack Ryan trug bei jenem Abenteuer die schlimmsten
Verletzungen davon, denn als er sich mit dem Tau um die
Lenden ins Wasser warf, rollten ihn gleichsam die wütenden
Wogen über die Klippen hin. Es fehlte nicht viel und seine
Kameraden hätten ihn leblos an Land gebracht.
Der wackere Bursche blieb also einige Tage ans Bett ge-
fesselt, was ihm recht ungelegen kam. Da ihn jedoch nie-
mand hinderte, nach Herzenslust zu singen, ertrug er seine
Leiden in Geduld, und die Meierei von Melrose erschallte
unaufhörlich von seinen fröhlichen Gesängen. Bei jener
Gelegenheit aber nahm in Jack Ryan das Gefühl der Furcht
nur noch mehr zu vor jenen Gespenstern und bösen Geis-
tern, die sich ein Vergnügen daraus machen, die arme Welt
zu quälen, und so schrieb er ihnen allein die Katastrophe
der ›Motala‹ zu. Man wäre bei ihm übel angekommen mit
der Behauptung, daß diese Feuerhexen gar nicht existier-
ten und daß jene Flamme, die plötzlich aus den Ruinen
emporschlug, auf eine einfache physikalische Erscheinung
zurückzuführen war. Keine Auseinandersetzung hätte ihn
überzeugt. Seine Kameraden lagen vielleicht noch mehr als
er in den Fesseln des Aberglaubens. Ihrer Erklärung nach
hatte eine solche Feuerhexe die ›Motala‹ boshafterweise
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nach der Küste gelockt. Sie zu bestrafen, erschien etwa
ebenso leicht, wie dem Orkan eine Geldstrafe zu diktieren.
Die Behörden durften getrost zu ihrer Verfolgung alles auf-
bieten. Eine Flamme steckt man in kein Gefängnis, ein kör-
perloses Wesen legt man nicht an Ketten. Die sorgsamsten
Untersuchungen schienen auch wirklich – wenigstens vor-
derhand – diese abergläubische Art der Erklärung nicht Lü-
gen zu strafen.
Da dem Magistrat des Ortes die Verpflichtung oblag,
eine Untersuchung wegen des Untergangs der ›Motala‹ ein-
zuleiten, so befragte er die verschiedenen Augenzeugen der
Katastrophe. Aller Aussagen stimmten darin überein, daß
der Schiffbruch nur durch die übernatürliche Erscheinung
der Feuerhexen auf den Ruinen des Schlosses von Dundo-
nald verschuldet sei.
Natürlich konnte sich die Behörde bei einer derartigen
Lösung der Frage nicht beruhigen. Es unterlag ja keinem
Zweifel, daß man es mit einer rein physikalischen Erschei-
nung zu tun hatte. Ob aber hier nur der Zufall oder die bös-
willige Absicht im Spiel war, das wollte und mußte der Ma-
gistrat klären.
Über die Unterstellung einer böswilligen Absicht
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