Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Harry sehr ernst, »und wenn diese
    Maschinen sich niemals mehr bewegten, wenn die Leiter
    unter unseren Füßen verschwinden sollte, du wirst dir an-
    hören, was ich dir zu sagen habe.«
    »Ah, Harry, so höre ich dich gern zu mir sprechen. Wir
    beschließen also, daß du Nell, bevor sie die deine wird, erst
    noch in ein Pensionat nach dem alten Rauchfang schickst.«
    »Nein, Jack«, erwiderte Harry, »ich werde die Erziehung
    derjenigen, die meine Frau werden soll, schon selbst zu lei-
    ten wissen.«
    — 209 —
    »Und daran dürftest du auch weit besser tun, Harry!«
    »Vorher aber will ich jedenfalls, wie ich dir eben sagte,
    daß Nell aus eigener Anschauung Kenntnis von der Außen-
    welt erhält. Ein Vergleich, Jack: wenn du ein junges, blindes
    Mädchen liebst, von der man dir sagte, ›binnen einem Mo-
    nat wird sie geheilt sein!‹, würdest du nicht mit der Hoch-
    zeit warten, bis die Heilung da wäre?«
    »Wahrhaftig, ja«, antwortete Jack.
    »Nun, Jack, Nell ist auch noch blind, und bevor sie meine
    Frau wird, will ich, daß sie weiß, daß sie mich und meine Le-
    bensverhältnisse vor anderen, die sie erst kennenlernt, vor-
    zieht. Ihre Augen müssen mit einem Wort erst das Licht des
    Tages gesehen haben!«
    »Schön, Harry, sehr schön«, rief Jack Ryan, »nun ver-
    stehe ich dich ganz. Wann wird diese Operation vor sich ge-
    hen ...?«
    »In einem Monat, Jack; Nells Augen gewöhnen sich nach
    und nach an die Helligkeit unserer Scheinwerfer. Das ist die
    Vorbereitung. In einem Monat, hoffe ich, wird sie die Erde
    und ihre Wunder, den Himmel und seinen Glanz gesehen
    haben! Wird wissen, daß die Natur dem Blick des Menschen
    einen weiteren Horizont ausgespannt hat, als den einer fins-
    teren Kohlengrube. Sie wird erkennen, daß das Weltall keine
    sichtbaren Grenzen hat!«
    Während Harry sich so von seiner Phantasie hinreißen
    ließ, hatte Jack die Leiter verlassen und war auf den auf-
    und abfahrenden Apparat hinübergetreten.«
    »He, Jack«, rief Harry, »wo bist du denn?«
    — 210 —
    »Unter dir«, antwortete lachend der lustige Kamerad.
    »Während du dich in die Unendlichkeit erhebst, steige ich
    in den Abgrund hinab.«
    »Leb wohl, Jack«, rief ihm Harry noch zu und ergriff nun
    selbst den jetzt emporsteigenden Apparat. »Ich bitte dich,
    mit niemand von dem zu sprechen, was ich dir jetzt anver-
    traut habe.«
    »Mit niemand!« versicherte Jack Ryan, »doch unter einer
    Bedingung ...«
    »Und die wäre?«
    »Ich begleite euch beide bei Nells erstem Ausflug auf die
    Oberwelt.«
    »Gewiß, Jack, das verspreche ich dir«, willigte Harry ein.
    Ein neuer Schwung der beweglichen Leiter brachte die
    beiden Freunde noch weiter auseinander. Der Ton der
    Stimme reichte nur noch schwierig vom einen zum andern.
    Dennoch konnte Harry noch hören, wie Jack ihm zu-
    rief:»Und wenn Nell die Sonne, den Mond und die Sterne ge-
    sehen hat, weißt du, wen sie ihnen vorziehen wird?«
    »Nein, Jack.«
    »Nun dich, mein Freund, immer und allezeit dich!« Jacks
    Stimme erlosch allmählich in einem herzlichen Hurra!
    Harry widmete nun alle freien Stunden der Erziehung
    Nells. Er hatte sie lesen und schreiben gelehrt – Fächer,
    in denen das junge Mädchen überraschende Fortschritte
    machte. Es schien, als kenne sie vieles rein aus Instinkt. Nie-
    mals besiegte eine seltene Intelligenz schneller eine frühere
    — 211 —
    vollständige Unwissenheit. Jeder, der diese schnelle geistige
    Entwicklung mit ansah, wunderte sich.
    Simon und Madge fühlten täglich mehr, wie innig sie
    an ihrem Adoptivkind hingen, deren Vergangenheit ihnen
    doch noch immer einige Sorge wegen der Zukunft ein-
    flößte. Die Natur der Gefühle Harrys für Nell durchschau-
    ten sie sehr bald und hatten ihre innige Freude daran.
    Der Leser erinnert sich, daß der alte Obersteiger, gele-
    gentlich des ersten Besuchs des Ingenieurs in dem früheren
    Cottage, etwa geäußert hatte:
    »Warum sollte sich mein Sohn verheiraten? Welches We-
    sen von da oben könnte zu einem jungen Mann passen, des-
    sen Leben in den Tiefen eines Kohlenbergwerks zu verlau-
    fen bestimmt ist?«
    Gewann es jetzt nicht den Anschein, als habe die Vor-
    sehung selbst die einzige Lebensgefährtin gesendet, die zu
    seinem Sohn passen konnte? Mußte man hierin nicht eine
    Gnade des Himmels finden?
    Der alte Obersteiger gelobte sich auch heimlich, daß der
    Tag, an dem dieser Ehebund zur Wahrheit würde, in Coal
    City mit einer Festlichkeit begangen werden sollte, die

Weitere Kostenlose Bücher