Schwarz. Weiß. Tot.: Storys
Der Ärger über den morgendlichen Streit schwang noch in ihrer Stimme mit. Sicher
saß sie in einem Meeting. Das war alles, was sie in der Werbeabteilung des Versicherungskonzerns Sanlam taten. Meetings abhalten
von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags.
»Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leid tut.«
Er wusste, dass sie nicht mit einer Entschuldigung gerechnet hatte. Sie schwieg einen Augenblick lang und sagte dann: »Mir
tut es auch leid. Du weißt, wie sehr ich dich liebe.« Flüsternd, versöhnlich.
»Ich komme heute früh nach Hause, versprochen.«
|62| »Das wäre schön. Danke, Fransman, danke, dass du angerufen hast.« Und dann: »Ich muss jetzt in ein Meeting. Ich ruf dich an.
Tschüs!«
»Tschüs«, sagte er und hielt vor dem Präsidium. Er war fest entschlossen, an diesem Nachmittag um fünf Uhr nach Hause zu fahren,
komme, was da wolle. Er sehnte sich danach, Crystal fest in die Arme zu schließen.
Jemand hämmerte gegen das Fenster der Beifahrertür. Dekker fuhr vor Schreck zusammen. Er erblickte die voluminöse Gestalt
seiner Partnerin, der fetten Inspekteurin Mbali Kaleni. Er beugte sich hinüber und entriegelte die Tür für sie. Stöhnend wuchtete
sie sich auf den Beifahrersitz.
»Du telefonierst während der Fahrt«, stellte sie missbilligend fest. »Ich hab’s genau gesehen.«
Dekker schwieg. Nur noch zwei Wochen, dann würde er mit jemand anderem zusammenarbeiten.
»Komm, wir müssen los. Anonymer Anruf, auf einem Schrottplatz in der La Bellestraat soll eine Frau erschossen worden sein.«
Dabei blickte sie ihn an, als sei das seine Schuld.
Das Problem mit Mbali Kaleni war, dass sie einen bis zur Weißglut reizen konnte. Sie hatte die Angewohnheit, urplötzlich auf
der Bildfläche zu erscheinen, irgendwie Unheil verkündend und meist genau im falschen Moment. Sie war eine militante Feministin,
besserwisserisch und übertrieben gesetzestreu. Sie war eine snobistische Zulu und um ihren Schreibtisch waberte stets der
Geruch von Kentucky Fried Chicken, obwohl niemand sie das Zeug je hatte essen sehen. Doch sie war eine gute Ermittlerin, dass
musste Dekker ihr lassen. Dabei verließ sie sich nicht auf ihren Instinkt, |63| so wie er, sondern arbeitete methodisch und langsam, streng nach Vorschrift, aber ohne dass ihr das Geringste entging. Zum
Beispiel die Reifenspuren neben der Corvette. Dekkers Reifenspuren.
»Hier«, sagte sie und zeigte mit ihrem dicken Finger zwei Leuten von der Spurensicherung die Abdrücke. »Ich will einen Abguss
davon haben.«
Dann watschelte sie auf das Bürogebäude zu, die Augen suchend zu Boden gerichtet.
Hatte er alle Patronenhülsen eingesammelt, nachdem er unter dem Schrott-Corolla hervor geschossen hatte?
Dekker fiel ein, dass er seine Pistole noch nicht neu geladen hatte. Sein Magen krampfte sich zusammen. Was hatte er sonst
noch vergessen?
Bevor er gefahren war, hatte er seine Fingerabdrücke in Natalie Fortuins Büro abgewischt. Aber er wusste, dass er Material
für einen genetischen Fingerabdruck hinterlassen hatte, Haare, Hautschuppen und mikroskopisch kleine Speicheltröpfchen, die
jeder Mensch als unsichtbare Spur hinterlässt.
»Komm schon, Checker«, blaffte Mbali Kaleni ihn an und lachte keckernd, denn sie wusste, dass er seinen Spitznamen nicht leiden
konnte. Die Kollegen bei der Kripo nannten ihn so, weil er übertrieben eifrig, ernsthaft und ehrgeizig war. Doch nicht jeder
hatte den Mut, ihn ganz offen damit zu foppen, denn er war ein großer, kräftiger Mann. Er schüttelte den Kopf und folgte ihr
in das Bürogebäude.
Der Polizeifotograf war dabei, Aufnahmen von Natalie Fortuin zu machen.
|64| »Los, beeil dich!«, raunzte Mbali ihn an. Vorsichtig ging sie um die Leiche herum, zog sich den Stuhl des Opfers heran und
setzte sich. Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Toten zog sie anhand ihres chaotischen Schreibtischs: Listen und Register
von Ersatzteilen, Kassenbücher, Notizen, Papier, alles kreuz und quer.
Plötzlich fiel Dekkers Blick auf ein DIN-A-4-Blatt, auf dem in großen Druckbuchstaben seine Initialen standen.
F. D.
Und eine Telefonnummer. Er versuchte, sie zu entziffern, doch er konnte die Zahlen nicht richtig erkennen. Panik erfasste
ihn. Wie konnte er das übersehen haben? Unter welcher Nummer hatte sie ihn angerufen? Wenn da seine Handynummer stand, war
er geliefert …
Nein, sie hatte ihn unter seiner Dienstnummer angerufen, jetzt fiel es ihm wieder
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