Schwarz
Soisalo lehnte sich an den Bartresen, der am weitesten von der Hauptbühne im Tavastia-Club entfernt war, trank Cidre und überlegte, ob die nächste Thrash-Metal-Band namens »Stam1na« den gleichen Lärmpegel erreichen würde wie die Gruppe »Mokoma«, die sich auf der Bühne gerade bemühte, die Schallmauer zu durchbrechen. In solchen Momenten bemerkte man die vierzehn Jahre Altersunterschied zwischen ihr und Jonny. Allerdings hatte sie sich auch in seinem Alter nicht mit den Fans von Heavy Metal identifiziert, die Lederklamotten, Piercing-Schmuck, Tattoos und Ketten trugen und angemalt waren wie Untote. Und jetzt brauchte sie keine künstlich düstere Stimmung mehr, in ihrem Leben war ohnehin alles düster, seit sie ihre Tochter verloren hatte.
Sie hätte Kara am liebsten angerufen und gefragt, ob Ukkolas Behauptungen zu dem Metamphetamin stimmten. Hatte sie Kara völlig falsch eingeschätzt? War ihre Menschenkenntnis wirklich so erbärmlich schlecht? Auch Mettäläs Tod und die neuesten Drohungen Ukkolas gingen ihr durch den Kopf. Sie hatte offen gesagt Angst.
Wie zum Teufel war es Jonny gelungen, sie zu einem Konzert mit aggressiver Metal-Musik zu überreden, und das ausgerechnet an dem Abend, an dem sie ernsthaft miteinander reden mussten? Der Mann half sich ein Bier nach dem anderen ein und spielte zwischendurch vor der Bühne Luftgitarre, ohne sich die geringsten Sorgen um die Zukunft zu machen.
Kati Soisalo griff nach dem schweißdurchtränkten Haarschopf ihres Freundes, der sich im Takt der Musik schüttelte, und zog sein Ohr an ihren Mund.
»Wir müssen etwas finden und zwar schnell, dieser Verrücktemuss aufgehalten werden. Ukkola begnügt sich nicht mehr lange mit bloßen Drohungen.«
Jonny Karlsson wirkte nicht besorgt. »Komm, wir gehen eine Weile hinüber ins ›Ilves‹, dort kann man sich unterhalten.«
Er holte an der Garderobe seinen Rucksack. Draußen ging das Pärchen auf der Urho-Kekkosen-Katu die wenigen Meter bis zum Restaurant »Ilves«. Jonny setzte sich an einen Ecktisch und holte seinen Laptop Alienware Area-51 M17x heraus. Vor einem Jahr war das Gerät mit einer Festplatte von zwei Terabyte in der Werbung als leistungsfähigster in Serie hergestellter Laptop der Welt bezeichnet worden.
»Ich schaue nur mal aus lauter Bosheit, ob einer der beiden Computer Ukkolas an ist«, sagte Jonny und loggte sich ins WLAN ein.
Das normale Stimmengewirr in dem Restaurant hörte sich in Kati Soisalos Ohren wohltuend leise an. Sie betrachtete Jonny, der seine Tastatur bearbeitete, und überlegte, wie er wohl sein Geld verdiente. Seine Wohnung in der Punavuorenkatu kostete etliches mehr als ihre eigene in Herttoniemi, und im letzten Winter hatte er einen Monat in Indonesien Urlaub gemacht und im Kempinski-Hotel in Jakarta logiert. Vielleicht war es auch besser, dass sie es nicht wusste, sagte sich Kati Soisalo einmal mehr.
Plötzlich jubelte Jonny: »Jawoll! Endlich mal Glück gehabt. Ukkola hat seinen Computer zu Hause stundenlang benutzt und ihn über Nacht im Stand-by-Modus gelassen, da konnte
Sparta300
endlich richtig loslegen. Schon ungefähr die Hälfte von Ukkolas Festplatte ist kopiert. In ein paar Tagen können wir ganz unbeschwert in den Dateien des Kerls surfen.«
»Wir müssen etwas finden, womit man ihn erpressen kann, hieb- und stichfeste Beweise für irgendein Vergehen. Irgendetwas, das Ukkola nicht unter den Teppich kehren kann.« Auch Kati Soisalo war nun ganz euphorisch.
Die atemberaubend schnellen Finger Jonnys, der in die Rolle von Paranoid geschlüpft war, tanzten ein paar Minuten auf der Tastatur. »Das war mir bisher entgangen, er hat anscheinend auch bei Zenbe eine private E-Mail-Adresse«, sagte er und öffnete eine von Ukkolas E-Mails, so dass Kati die Nachricht lesen konnte.
Sie wusste sofort, dass sie Ukkola nun im Würgegriff hatte, als sie das Wort Sibirtek las. »Volltreffer!«
»Sieh mal hier! Das ist erst ein Treffer«, entgegnete Jonny, nachdem er den Anhang einer anderen Nachricht geöffnet hatte, ein Foto, das den nackten Ukkola bei Liebesfreuden mit einem lustlos wirkenden Mädchen zeigte.
20
Dienstag, 5. Mai – Mittwoch, 6. Mai
Kati Soisalo brauchte nicht auf den Tachometer ihres Zwergautos zu schauen, um zu wissen, dass sie keine Geldstrafe bekäme, selbst wenn sie die Autobahn von Helsinki nach Tampere von Anfang bis Ende mit durchgetretenem Gaspedal fahren würde.
Schlechter hätte der Tag gar nicht anfangen können: Sie hatte verschlafen, war
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