Schwarz
war und in den Frachtraum des Flugzeugs fuhr. Sein Herz hämmerte so, dass er es im ganzen Körper spürte, und beim Gedanken an Baabas toste der Hass in ihm hoch.
Gebückt lief er ein paar Meter bis hinter die Räder eines WFP-Las ters und kletterte auf die mit weißen Lebensmittelsäcken gefüllte Ladefläche. Er kämpfte sich zwischen den Säcken nach vorn bis zur Wand an der Fahrerkabine, hob den Kopf und sah den Mann mit dem schiefen Hals. Baabas’ Jeep stand immer noch da. Karas Hirn lief auf Hochtouren, als der LKW losfuhr. Wartete Baabas hier, um ihn in Empfang zu nehmen, oder aus einem anderen Grund? Sollte er sich im Lagergebäude des WFP verstecken oder versuchen vom Flugplatz zu fliehen?
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als der LKW im Lager des WFP stehen blieb und ein halbes Dutzend Sudanesen auf die Pritsche kletterte, um die Fracht zu entladen. Die Männer erstarrten, als er sich plötzlich zwischen den Säcken hervorzwängte, gleich würde ihn jemand den Mitarbeitern des WFP melden …
Kara lächelte den Arbeitern zu, sprang vom LKW hinunter und verließ das Lager im Laufschritt. Draußen standen mehrere Fahrzeuge des WFP: Transporter, LKW und zwei Geländewagen. Er hatte Glück, die Zündschlüssel eines Jeeps baumelten im Schloss. Er startete den Wagen und fuhr in östliche Richtung auf die Straße, die nach Kusti führte. Gut, dass er die Strecke kannte. Die schnurgerade, von der glühenden Sonne erhitzte Asphaltstraße flimmerte, und Kara warf einen Blick in den Rückspiegel – würde Baabas ihm folgen? Als er schon glaubte, die Flucht sei ihm gelungen, tauchte im Innenspiegel ein Punkt auf. »Weiß oder grün, weiß oder grün«, sagte Kara immer wieder vor sich hin und drehte sich um, um das Fahrzeug zu erkennen, aber es war zu weit entfernt. Er musste die Geschwindigkeit drosseln und den Jeep ein wenig näher heranlassen … Grün! Baabas war ihm auf den Fersen, Kara trat das Gaspedal durch.
Es würde ihm nicht gelingen zu fliehen, so viel war sicher. Er kannte nur die Strecke über Kusti nach Khartoum, und wenn er von der Asphaltstraße abbog, würde man die Staubwolke kilometerweit sehen. Er saß in der Falle.
Mit einem Mal tauchte vor ihm eine Lösung auf – das Schild des WFP, das den Weg zum Flüchtlingslager El Obeid wies. Dort könnte er untertauchen. Im Chaos des Lagers, in diesem Meer von Zehntausenden Menschen und Hütten würde Baabas ihn vielleicht nicht finden. Es wäre nicht mehr als ein verzweifelter Versuch, aber eine bessere Option hatte er nicht.
Er bog auf den Sandweg ab, der Jeep schaukelte hin und her und wirbelte den Sand meterhoch auf, die Sichtverbindung zu Baabas wurde unterbrochen. Kara fiel ein, was beim letzten Mal in dem Lager passiert war: Sobald sein Auto angehalten hatte, wurde es von Flüchtlingen umringt.
Kara drückte auf die Hupe, bremste und sprang aus dem Wagen,als der noch gar nicht stand. Er stürmte auf die Hütten aus Zweigen und Plastikfetzen zu, der widerliche Lagergeruch drang ihm in die Nase. Die Ankunft eines UN-Fahrzeugs sorgte für Bewegung, ausgemergelte Menschen verließen ihre schattigen Notunterkünfte und tauchten in der sengenden Sonne auf, sie riefen einander etwas zu und hielten Ausschau Richtung Straße in der Hoffnung, etwas zu essen oder Wasser zu bekommen. Kara war schon hundert Meter von seinem Jeep entfernt, als er die Hupe von Baabas’ Wagen hörte, er warf einen Blick zurück und sah, wie die auf der Straße versammelten Flüchtlinge den Militärjeep zwangen, weit vor dem Fahrzeug des WFP anzuhalten. Er hatte einen reichlichen Vorsprung, das war gut.
Der Lärm trieb immer mehr der bedauernswerten Menschen aus ihren Hütten, und Kara wurde langsamer, weil er den Flüchtlingen ausweichen musste, die auf die schmalen Pfade traten. Er rannte jetzt ungefähr durch jenen Teil des Lagers, in dem er damals seinen Proviant und den Wasserkanister einem Jungen namens Kafi geschenkt hatte. Hunderte ängstliche und müde Augenpaare, die alle Hoffnung verloren hatten, schauten ihm zu, als er sich zwischen den Menschen, Hütten, Tonkrügen und Lagerfeuern hindurchschlängelte und zum Rand des Lagers lief. Plötzlich wurde Kara klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Er brauchte gar nicht erst zu versuchen, sich auf dem Gelände des Lagers zu verstecken. Die Flüchtlinge, die das Geschehen beobachteten, würden Baabas seinen Aufenthaltsort ungewollt verraten. Er musste irgendwohin laufen, wo keine neugierigen Blicke sein
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