Schwarz
Versteck verrieten.
Kara näherte sich dem Rand des Lagers, er musste in die Savanne rennen, es gab keine andere Möglichkeit. Schon blieb die letzte Hütte hinter ihm zurück, und vor ihm lagen nur roter Sand, niedrige Büsche und … Hundert Meter entfernt standen Akazien, würde er sie rechtzeitig erreichen? Die Milchsäure ließ seine Beine steif werden, als er weiterhetzte, er warf einen Blick über die Schulter zurück, Baabas war noch nicht zu sehen … nur noch zehn Meter, dann war er im Schutz der Bäume, noch fünf …
Ein brennender Schmerz schoss durch den ganzen Körper, als etwas seinen Knöchel packte. Kara wurde mit voller Wucht nach hintengerissen, flog ein paar Meter durch die Luft und blieb im Sand liegen, ein Bein in den Himmel gereckt. Der Knöchel schmerzte so furchtbar, dass er sich die Faust in den Mund drückte und zubiss, um nicht so laut zu schreien, dass ihn alle im Lager hören konnten. Er war in die Schlinge einer Falle getreten, was zum Teufel wollten die Flüchtlinge hier fangen? Das dünne Drahtseil schnitt tief in die Haut ein, sein anderes Ende war weit oben am Stamm einer armdicken Akazie festgebunden. Kara versuchte sich zu bewegen, aber der Schmerz wurde unerträglich. So wie er lag, hatte er keine Chance, an das Seil heranzukommen.
Plötzlich hörte er hinter sich Schritte, er drehte den Kopf, so weit es ging, zitterte vor Schmerz und schloss die Augen. Jetzt fingen seine Probleme erst an.
»Du bist also wirklich so dumm, freiwillig in den Sudan zurückzukehren«, sagte Oberst Abu Baabas.
***
Henri Pohjala betrat das Einkaufszentrum Bayside in Kapstadt und trug dieselben schwarzen Lloyd-Benito-Schuhe der Größe 44 aus Sulingen in Deutschland wie vor zwei Jahren, als er von Finnland nach Südafrika gereist war, um seinem Leben ein vorgespieltes Ende zu setzen. Alles, was er bei diesem Umzug mitnehmen wollte, hatte in einen Lederkoffer gepasst: zwei maßgeschneiderte Anzüge, eine Luftaufnahme vom Erbhof der Pohjalas in Iitti, eine Kollektion mit CDs von Frank Sinatra, sechs Hefter voller Unterlagen des »Kabinetts«, zwei Familienporträts, Diamanten im Wert von ungefähr vierhunderttausend Euro, die sich leicht zu Geld machen ließen, sowie eine gemischte Sammlung von kleinen Utensilien mit hohem emotionalem Wert: Manschettenknöpfe, eine goldene Uhr von Girard Perregaux, zwei Kerzenleuchter, eine Miniskulptur von Emil Halonen, die sich schon lange im Besitz der Pohjalas befand, und eine hundertachtzehn Jahre alte Familienbibel. Er hatte nur Gegenstände mitgenommen, die er sich in Kapstadt nicht beschaffen konnte. Die wichtigsten Dinge aber waren in Finnland geblieben: seine Frau, sein Sohn, das Haus in Westend, die Sommerhäuser in Saariselkä und Iitti, seine Freundin Reetta S. und das blutrote KabriolettTriumph Spitfire, Baujahr 1967. Auf dessen Ledersitzen hatte er im Laufe der Jahre mehr Sex gehabt als in seinem Ehebett.
Alles hatte problemlos geklappt: Die Flucht aus Finnland, der vorgetäuschte Tod in Botswana und das von der Zeitschrift »Apu« finanzierte komische Schauspiel, bei dem Asche auf dem Tafelberg verstreut worden war. Und es war ihm auch mühelos gelungen, sich im Kapstadter Stadtteil Table View unter einem falschen Namen einzuleben. Allerdings war Pohjala es gewohnt, mit großen Herausforderungen konfrontiert zu werden. Nun hatte sich herausgestellt, dass ein endloser Golfurlaub als einziger Lebensinhalt auf die Dauer frustrierend war.
Henri Pohjala betrachtete jedoch die vom Zwang diktierte Änderung seines Lebens genauso wie alles andere auch – rational. Künstler oder andere Wirrköpfe konnten mit Gefühlsduselei vielleicht viel erreichen, aber ein kompetenter Unternehmenschef durfte sich nie dazu hinreißen lassen, sentimental zu werden. Er sah sowohl sich selbst als auch alle anderen nur und ausschließlich als Mittel zum Zweck, und der bestand darin, Ergebnisse zu erzielen. Deshalb hatten ihn immer alle, außer den Aktienbesitzern der von ihm geführten Unternehmen, verabscheut. Auch die finnische Presse nannte ihn den »Rausschmeißer-Pohjala«, obwohl er bei der Sanierung von Firmen am effizientesten war. Doch nicht seine Unbeliebtheit war ihm zum Verhängnis geworden. Seine Probleme hatten an dem Tag vor anderthalb Jahren begonnen, als er zur Bedrohung für seinesgleichen geworden war. An jenem ersten Dienstag im Oktober, als er auf der Monatsversammlung für sich einen größeren Anteil an den Millioneneinnahmen des »Kabinetts«
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