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Schwarz

Schwarz

Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Unternehmen mit den Russen erfahren willst, dann solltest du mit diesem Mann reden«, sagte Saara Lukkari und reichte Kara eine Visitenkarte.
    »Warum erzählst du mir das alles?«
    »Vielleicht wird sich das eines Tages herausstellen«, erwiderte Saara Lukkari, grinste und stand auf.

12
    Donnerstag, 30. April – Freitag, 1. Mai
    Der betrunkene Barack Obama dirigierte wie Boris Jelzin 1994 in Berlin. Die Musik dazu erklang aus einem CD-Player. Auf dem Gang im Intercity, der gen Mittelfinnland raste, herrschte ein Gedränge wie auf dem Markt von Omdurman. Dann erschallte aus der Richtung des Speisewagens das Dröhnen eines Horns, und der Student in Latzhose mit der Obama-Maske torkelte davon.
    Leo Kara war auf dem Weg zu seiner Tante in der Nähe von Jyväskylä und verfolgte das Geschehen voller Interesse, es war das erste Mal, dass er den Vorabend des Maifeiertags als Erwachsener in Finnland verbrachte. Er saß im ruhigsten Teil des Zugs, im gedämpften Licht des Kinowagens, nur ganz wenige Betrunkene konnten sich für den etliche Jahre alten finnischen Film über ein Beziehungsdrama erwärmen. Wenn er vorher gewusst hätte, was für eine Karnevalsstimmung an diesem Abend herrschte, hätte er vor der Fahrt auch einen zur Brust genommen. Jetzt hatte er keine Lust, in dem überfüllten, von Studenten okkupierten Speisewagen herumzustehen.
    Die Finnen waren ein eigenartiges Völkchen: Bei der Anzahl der Selbstmorde, der Scheidungen, der Gewaltverbrechen, der Übergewichtigen, der Krankschreibungen und derjenigen, die Alkoholmissbrauch betrieben, stellten sie absolute europäische Spitze dar. Trotzdem war der große Erfolg des Landes bei der Pisa-Studie zu den Schulkenntnissen der Fünfzehnjährigen das häufigste Gesprächsthema im Ausland, wie Kara mehr als einmal erlebt hatte, wenn es um Finnland ging. Seiner Ansicht nach war fast allen Finnen ein seltsamer Hang zur Melancholie eigen, der stets aktiviert wurde, wenn sie miteinander in Berührung kamen. Dieses Phänomen kannte er auch von sich. Ob er seinen schwermütigen Charakterzug vom Vater geerbt hatte oder ob das eine Folge der Kopfverletzung war, das wusste er jedoch nicht.
    Kara hielt Finnland immer noch für sein Heimatland, vielleicht deshalb, weil er nur hier ein einigermaßen normales Leben geführt hatte, bevor er mit zehn Jahren nach England zog. Zuweilen stellte er sich vor, wie er nach Finnland zurückkehren und sich hier niederlassen würde, wenn es ihm gelungen war, alle gerissenen Fäden seiner Vergangenheit wieder zu verknüpfen. Doch das würde wohl kaum geschehen. Kara versuchte sich auf die Landschaft zu konzentrieren, aber nach Tampere schien es so, als wäre der Zug in einen grünen Tunnel getaucht. Überall nichts als Wald.
    Der Schaffner, der so aussah, als nehme er sich sehr wichtig, betrat den Wagen und wollte die Fahrkarten der in Tampere Zugestiegenen sehen. Kara drückte die Rückenlehne nach hinten, vielleicht gelang es ihm, ein Weilchen zu schlafen. Er überlegte, wann er seine Tante Eeva das letzte Mal getroffen hatte, und tippte auf das Jahr 2006. Die Schwester seines Vaters ähnelte ihrem Bruder in vieler Hinsicht, wahrscheinlich mochte Kara sie deswegen. Die etwas bärbeißige und zurückhaltende Eeva arbeitete am Institut für Physik der Universität Jyväskylä. Sie war eine der besten Freundinnen seiner Mutter gewesen. Kara erinnerte sich noch gut, wie Eeva 1988 nach London gekommen war, um zu schlichten, als Mutter und Vater sich so weit zerstritten hatten, dass sie vor der Scheidung standen.
    Plötzlich wälzte sich ein Pulk sturzbetrunkener Studenten in den Wagen. Kara versuchte an den bunten Overalls der jungen Leute abzulesen, welche Fakultät sie vertraten. Sie machten einen unbeschreiblichen Lärm, einer schwang eine Rassel, und ganz und gar ohrenbetäubend wurde der Krach, als der nasale Ton eines Horns, mit dem Jäger Elche anlocken, durch den Wagen schallte. Dann schaukelte der Zug heftig, die Leute im Gang schwankten, und einer der Studiosi kippte Kara sein Bier auf die Hose.
    »Oho«, sagte der junge Mann, der sich riesige Pappohren aufgesetzt hatte.
    Kara sah rot, packte den Bierverschütter im Genick und wollte ihn in Richtung Wagentür zerren, doch der Zugbegleiter stand ihm im Weg.
    »Was ist hier los, wird da etwa randaliert?«, fragte der Schaffner und starrte den wütenden Kara an. Auch die Studententruppe verstummte,um den Zwischenfall zu beobachten. Es sah so aus, als wäre Kara der einzige Störenfried

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