Schwarze Blüte, sanfter Tod
vermittelte. Ein hilfsbereiter und zugleich ziemlich umtriebiger junger Mann, der Macao wie seine Hosentasche kannte. Von Sung Loh erfuhr ich, daà er seit einer Woche auf der Freitreppe der groÃen historischen Sehenswürdigkeit Macaos, der Fassade der Basilica de Sao Paolo, mitten im Zentrum der Stadt, ein lebendes Gesamtkunstwerk betrieb. Ich konnte mir zunächst darunter nichts vorstellen. Auch nicht als Sung Loh mir grinsend bei einem Mittagsbier verriet: »Er läÃt von ein paar jungen Weibern, die er gemietet hat, die Varianten der A Ma darstellen. Zum Anfassen!«
A Ma, so weit reichte meine Bildung noch, war die Seegöttin aus der uralten chinesischen Legende. Der Name Macaos ging auf sie zurück, hieà es, denn unter Kao verstand man in der hiesigen Originalsprache eine Bucht. Und so kam zuerst angeblich die Bezeichnung A-Ma-Kao zustande, und schlieÃlich schliff sich das zu Macao ab, eine Bucht, die zu Ehren A Mas deren Namen trug.
Nun hatte die Landspitze am südlichen Rande Chinas eine kuriose Geschichte, und auch was den Namen betraf, gab es durchaus verschiedene Varianten, aber das kümmerte weiter niemanden als vielleicht die Historiker, die fremden mehr als die eigenen. Sie stritten sich auch immer noch um das Aussehen der Seegöttin. Doch selbst das rührte in diesem Nest Macao niemanden mehr sonderlich.
Schon im Kindesalter, als meine Mutter mich zum ersten Mal nach Macao mitnahm, hatte sie versucht, mir die Eigenart dieses Territoriums und seiner Bewohner so gut es ging verständlich zu machen. Ich erinnerte mich jetzt daran. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kamen die seinerzeit als unternehmungslustige Seefahrer bekannten Portugiesen nach Macao, das damals noch die chinesische Bezeichnung Ao Men trug und ein leidlich florierender Seehafen war. Allerdings waren die Zeiten rauh, und die gröÃte Gefahr für die noble Seefahrt stellten Piraten dar, die das Delta des Perlflusses unsicher machten.
Die Portugiesen brachten nun auf ihren Schiffen die ersten Kanonen mit, eine für jene Zeiten beachtliche Waffe. Sie schlossen mit den Ao-Men-Leuten zunächst einen Pakt gegen die Piraten, und China überlieà ihnen zum Dank dafür, daà sie die kräftig dezimierten, das Recht, sich in Ao Men niederzulassen und den Hafen zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für den Handel im Pazifik, zwischen China, Japan, Korea und Thailand zu machen.
Da liegt übrigens der entscheidende Unterschied zu Hongkong, das den Chinesen durch die Engländer buchstäblich abgepreÃt wurde, als Kolonie: Macao überlieÃen die Chinesen den Portugiesen sozusagen freiwillig, gegen ein Pachtgeld, etwa vier Jahrzehnte nach deren Ankunft. Eine Art friedlicher Gebietsabtretung. Der Hafen blühte auf, und es blieb nicht aus, daà die beiden europäischen Kolonialmächte England und Holland, die damals in Ostasien wilderten, einen Versuch nach dem anderen unternahmen, ihn in die eigenen Finger zu bekommen.
Die Holländer scheiterten zuerst. Und die Engländer verloren das Interesse an Macao, nachdem ihr Opiumkrieg gegen China ihnen Hongkong eingebracht hatte. So blieb Macao eine stets etwas verschlafene portugiesische Niederlassung, der die Ehre erwiesen wurde, portugiesische Ãberseeprovinz genannt zu werden, was zwar an der Verschlafenheit wenig änderte, immerhin aber dem Städtchen eine Menge an europäischen Eigenheiten brachte, in Lebensweise, Baustil und in anderen Bereichen.
Da waren vor allem die Missionare, die das Bild prägten. Noch im 16. Jahrhundert lieà sich ein römisch-katholischer Bischof in Macao nieder. Die Jesuiten erschienen und begannen ihr Bekehrungswerk gegen den überhaupt nicht kämpferischen Konfuzianismus. Macao wurde sozusagen zum Hort der Bekehrer.
Selbst jene Jesuiten, die am fernen chinesischen Hof in Peking, das damals noch Peiping oder so ähnlich hieÃ, intrigierten, hatten ihren entscheidenden Stützpunkt in Macao.
Die Basilica de Sao Paolo und ihr Priesterseminar erlebten viele Jahrzehnte einer gloreichen Geschichte, als gröÃte christliche Kirche in ganz Ostasien, und der Bau wurde nicht ganz zweihundert Jahre alt. 1835 zerstörte ihn ein Taifun, dem ein Brand folgte. Stehen blieb â ähnlich wie die Reste der alten portugiesischen Forts und Kasematten, die von der Blütezeit Macaos zeugen â eine eindrucksvolle Vorderwand der Kirch, zu der eine breite Freitreppe
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