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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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Augenblick hatte ich den Eindruck, daß die Fliege vor seinem obersten Hemdknopf zitterte. Ob ich ihm mein Taschentuch für die Tränen dalassen sollte?
    Die Tür zum Haus war ebenfalls von der Firma Bullock mit einem Schloß versehen worden. Gute englische Wertarbeit. Ich hielt mich nicht weiter auf. Nach Wanchai ...
    Die Gegend hinter der Stehbierhalle von Ky, der neuerdings Mao Tai im Angebot hatte, auch Bai Gar, erprobte Mutterlanderzeugnisse, die einen Rausch verursachen, von dem ein britischer Lord nur träumen kann, wenn er Fernost nicht kennt, stank noch ebenso wie vor der Eingemeindung in die große chinesische Heimat. Ein paar Katzen stritten sich um ein Stück von etwas, das einmal Fleisch gewesen sein mochte, vielleicht auch ein vom Hochwasser aus dem Hafen hereingeschwemmter Fisch, der während des Taifuns sein Leben hier ausgehaucht hatte. Amerikaner und Japaner waren schon in Gruppen unterwegs, um Alt-Hongkong zu bestaunen. Ein paar Mädchen tauschten ihre Erfahrungen der letzten Nacht aus. Sie hatten auffallend wenig Schminke im Gesicht, kamen also, wie man als in Wanchai Aufgewachsener sogleich konstatierte, ziemlich direkt aus der Horizontale. Die Nacht des Jubels und der Freude war vorbei. Das hier war sozusagen der graue Morgen, obwohl die Sonne schien. Ich hörte beiläufig im Vorbeigehen, daß die eine der Damen von einem Kantonesen allen Ernstes gefragt worden war, ob sie gegen Aids geimpft sei. Der Rest ging im Gelächter der anderen unter.
    Lam, der gute alte Freund, der hier, als ich noch Polizeidienst versah, nie Schwierigkeiten gemacht hatte, wenn ich ihn wieder einmal vorführen mußte, weil man inzwischen seine Handschrift kannte, war vom Einbrechen lange abgekommen. Aber wenn mich einer nach dem letzten Mechaniker von Format in Hongkong gefragt hätte, würde ich nicht gezögert haben, Lam zu nennen. Vom nachgemachten Parker-Füllhalter, der die Tinte nicht mehr hielt, bis zur zerbrochenen Feder am Sitz einer Fahrradrikscha reparierte er alles.
    Er setzte grade Knopfzellen in eine dieser komplizierten Armbanduhren der vorletzten Generation ein, die die Stunde mit schnarrender Stimme ansagen, und das tat er in seiner düsteren Bude, in der lediglich der Arbeitsplatz beleuchtet war.
    Sein Gesicht konnte ich erkennen, die vor das Auge geklemmte Lupe, die Uhr, nicht weit davon der Teetopf – Lam hatte geschädigte Nieren, und irgendein Pfuscher hatte ihn ermahnt, stündlich einen Liter zu trinken. Das befolgte Lam. Und weil er der Einfachheit halber die Tür zu dem Abteil, das er Toilette nannte, gleich offenstehen ließ, roch es in dem Kabuff, wie es wohl im Mausoleum Maos riechen würde, wenn da mal einer die Vitrine einschmisse und die Brühe, in der der Chef ruhte, ausliefe.
    Â»Hinsetzen!« kommandierte er, ohne den Blick von der Uhr zu wenden.
    Während er weiterbastelte, hustete er einige Male. Es hörte sich nicht grade wie Verlegenheitshüsteln an, sondern etwas nach Defekt. Ich nahm einen Geldschein aus der Tasche. Wie unser gesamtes Hongkonger Lebensgefühl nach der Einvernahme war auch er sehr neu, und als ich ihn rascheln ließ, knurrte Lam, ohne sich umzudrehen: »Fünfzig Dinger. Das muß der Toaster sein, den ich repariert habe. Komme gleich ...« Ich sagte: »Hi, Lam, lange Zeit nicht sehen, lange Zeit nicht hören ...!«
    Daraufhin legte er betont langsam die Uhr auf den Tisch. Hustete wieder. Dann drehte er sich ebenso langsam um und nahm die Lupe vom Auge.
    Â»Toko, alter Gauner!« begrüßte er mich. »Warum bist du nicht nach England getürmt? Oder nach Kanada?«
    Â»Weil die Geschäfte hier laufen.«
    Er grinste. Nahm einen Schluck aus dem Teetopf, den der Aufdruck Angels Pee zierte, dann schlurfte er auf die Toilette zu, und als er sich bei offener Tür erleichtert hatte, wusch er sich ausnahmsweise die Hände, bevor er mich begrüßte: »Was ist es diesmal? Oder ist das ein Staatsbesuch?«
    Wir kamen gut miteinander aus. Ich hatte für Lam schon als Polizist immer das gehabt, was die Engländer eine weiche Stelle nennen, und bei lächerlich kleinen Delikten mit Lams Handschrift hatte ich mir öfters offiziell keinen Rat gewußt, was man als Unzuverlässigkeit im Dienst bezeichnen kann, wenn man will. Nur daß mich wirklich große Ganoven, viel größere als Lam einer war, eben immer mehr interessiert hatten als dieser Schlucker, der

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