Schwarze Blüte, sanfter Tod
Ganz plötzlich gab sie ihre Zurückhaltung auf.
Sie schüttelte heftig ihren Kopf, wobei das kastanienfarbige Haar, obwohl die Frisur einwandfrei lag, hin und her schwang. Dabei fauchte sie: »Ich war nicht dabei! Ich hätte es keine fünf Minuten mit dieser Tochter einer Schildkröte ausgehalten, ohne ihr an den Hals zu gehen!«
»Sie waren es auch nicht, die ihr den Schlüssel zu Mister Yuehs Wohnetage gab â ich meine den, der den Fahrstuhl auf dieser Etage öffnete?«
»Er schloà von innen auf, als sie ihn besuchte.«
»Aber der Mörder muà doch auch einen Schlüssel gehabt haben, oder?«
Sie senkte den Kopf. Sagte nichts. Bis ich nachfragte: »Vielleicht hat sie den Schlüssel von Mister Yueh bekommen, ohne daà Sie davon wuÃten?«
Eine Weile zögerte sie noch, dann offenbarte sie mir einigermaÃen trotzig: »Sie bekam den Reserveschlüssel von Mister Yueh.«
»Ist Ihnen klar, daà bei dieser Sachlage Mrs. Hsu Kwan sehr wohl Ihren Chef getötet haben könnte?«
Sie verschloà sich wieder. Aber dann fiel ihr ein: »Warum hätte sie das wohl tun sollen? Sie wollte nicht nur Geld von ihm, sie brachte ihn auch dazu, daà er sich immer weniger Zeit für mich nahm ...«
Wieder hielt sie inne, geradezu verschreckt von dem, was sie so impulsiv geäuÃert hatte. Die Frau befand sich in der quälenden Situation, daà es sie einerseits drängte, ihre Enttäuschung, ihre Empörung herauszuschreien, daà sie aber andrerseits erfahren genug war, um die Gefahr zu erkennen, die mit jedem dieser vom Zorn ausgelösten Eingeständnisse auf sie zukam.
Aber es gab kein Zurück mehr. Sie sprach es aus: »Halten Sie mich bitte nicht für eine eifersüchtige Geliebte, Mister Lim Tok. Es war einfach unerträglich! Sie drängte sich buchstäblich in unser Leben. Infam! Ich habe lange geschwiegen, aber ich kann das nicht mehr weiter durchhalten â die Frau ist unersättlich, sie hat kein Gewissen! Nicht nur, daà sie Mister Yueh zum Spenden erheblicher Summen drängte, sie hat die Schuld an seinem Tod, ich zweifle nicht mehr daran, so oder so ist es auf sie zurückzuführen. Vielleicht ist sie sogar diese ominöse junge Frau, von der der Island Guardian behauptet, Mister Yueh habe ihretwegen noch einmal das Testament geändert ...!«
Eigentlich hatte ich genug erfahren. Mehr als erwartet. Ein Glücksfall. Oder auch nicht? Denn ich hatte schon damit gerechnet, daà die Freundin von Mister Yueh, die bisher niemandem alles gesagt hatte, was sie wuÃte, einmal doch ihr Schweigen brechen würde.
Allerdings: sagte sie jetzt die Wahrheit?
Auf jeden Fall war es erst einmal nötig, ihr die alte Selbstsicherheit zurückzugeben und ihr klarzumachen, daà man auf ihrer Seite stand. Doch zuvor erkundigte ich mich noch betont beiläufig: »Haben Sie selbst auch sozusagen Wurzeln im Shantouer Gebiet?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
Ich machte sie aufmerksam: »Nun, falls Sie zu der Bruderschaft der Chiu-Chao-Leute gezählt werden, wären Sie in ziemlicher Gefahr. Wegen Verletzung des ungeschriebenen Shinyung-Gesetzes, das Loyalität und Schweigen verlangt ...«
Sie sagte gelassen: »Mein GroÃvater gehörte zu einer Bruderschaft. Er wanderte aus. Heiratete in Kalifornien, wo er im Bahnbau als Koch arbeitete, eine Amerikanerin. Der einzige Sohn ging wieder an den Han-Fluà zurück, in die Nähe von Swatou, wie Shantou ja damals hieÃ. Er heiratete die Tochter eines Kaufmanns. Die beiden wanderten nach Hongkong aus, als ich noch ein Kind war. Vater ist lange tot. Meine Mutter lebt bei mir ...«
Wieder unterbrach sie sich, als habe sie zuviel gesagt. Ich fragte nicht weiter. Sie erinnerte sich an den Tee, führte die Tasse zum Mund und stellte miÃmutig fest, daà das Getränk abgekühlt war.
»Ich habe nie zu einer dieser Bruderschaften von Zuhause gehört«, sagte sie. »Auch meine Mutter nicht. Vielleicht hat man uns vergessen. Bis diese Frau kam, die eine Galerie betreibt ...«
»Sie ist die Herrin über alle Hongkonger Clans?«
Mià Tsao nickte. »Offenbar.«
»Kennen Sie einen Herrn Chao Yan? Drüben in Mong Kok. Führt ein Tanzlokal.«
»Nie von einem Mann dieses Namens gehört.«
Ich unterdrückte einen Seufzer. »Glauben Sie mir, Mià Tsao, ich hoffe, Sie müssen nie von ihm
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