Schwarze Diamanten (Bruno Bd 3)
wohl nicht mehr warnen
können. Vielleicht haben die Täter ihr Opfer mit Waffen bedroht, wir wissen es
nicht. Laut Auskunft der Kriminaltechnik wurde Vendrot in der Hütte gefesselt
und erst dann nach draußen gebracht. Der Tod ist zwischen sieben und neun
eingetreten. Genaueres lässt sich noch nicht sagen, denn das Opfer hat so viel
Blut verloren, dass der Körper schneller ausgekühlt ist als normalerweise. Das
verwendete Messer hatte eine etwas über zwanzig Zentimeter lange, einschneidige
und spitz zulaufende Klinge. Gefunden wurde es noch nicht.
Der gestohlene Mercedes wurde heute Morgen auf dem Parkplatz des Flughafens
von Toulouse sichergestellt.“ Jean-Jacques legte eine Pause ein. „Vielleicht
sehen Sie daran, dass wir mit Hochdruck an diesem Fall arbeiten. Der Wagen
wurde gesäubert, Staub gesaugt und ausgeräumt. Zurzeit werden noch sämtliche
Mülleimer am Flughafen und an Rastplätzen entlang der Autobahn durchsucht.“
Jean-Jacques blickte von seiner Akte auf, schaute in die Runde und nahm
mit jedem Anwesenden Augenkontakt auf.
„Hercule Vendrot war ein angesehener Mann, ein vielfach ausgezeichneter
Sohn Frankreichs“, sagte er. „Der Innenminister hat mich persönlich
angewiesen, diesem Fall oberste Priorität einzuräumen. Alle anderen Dienste
sind in die Ermittlungen mit eingebunden, insbesondere die dgse, für deren
Vorgängerorganisation unser Opfer gearbeitet hat. Einer ihrer Vertreter ist
heute bei uns.“ Jean-Jacques deutete mit einer Kopfbewegung auf einen
unauffälligen Mann mittleren Alters, der in einem dunklen Anzug und hellgrauem
Hemd am anderen Ende des Tisches saß und zurücknickte.
„Gibt es schon irgendwelche Verdachtsmomente?“, fragte der
Bürgermeister.
„Keine konkreten“, antwortete Jean-Jacques. „Möglicherweise weist das
Motiv - einiges spricht für einen Racheakt - in die Vergangenheit zurück; es
könnte aber auch sein, dass wir auf dem hiesigen Trüffelmarkt Aufschlüsse
finden. Aus diesem Grund sind Sie hier, meine Herren. Sie kennen Hercule, seine
Sorgen und Feinde, Hintergründe, die uns nützlich sein könnten.“
Bruno hätte neue Information für Jean-Jacques gehabt, die er ihm aber
lieber unter vier Augen anvertrauen wollte, um zu verhindern, dass
Indiskretionen die Runde machten. Trotzdem fand er es gut, dass Jean-Jacques
die Ratsvertreter der Stadt mit an den Tisch geladen hatte und durch diese
Geste seiner Wertschätzung zur Mitarbeit ermutigte. Ihr Wissen um lokale
Zusammenhänge könnte in der Tat sehr nützlich sein. Was ihm, Bruno, aber sehr
viel wichtiger erschien, waren das Testament und die Aufzeichnungen, die
Hercule bei seinem Notar hinterlegt hatte. Bruno war am Vormittag in dessen
Kanzlei gewesen. Der Notar gehörte zu Hercules Jagdverein und kannte Bruno gut,
und weil der amtliche Totenschein bereits ausgestellt war, hatte er ihm
erlaubt, Einblick in die Unterlagen zu nehmen. Außerdem hatte er Bruno die
Kopie eines Briefes gezeigt, der noch heute an den Rechtsattache der
vietnamesischen Botschaft in Paris abgeschickt werden sollte und in dem dieser
gebeten wurde, eine gewisse Gioan Linh Nguyen-Vendrot, die als mögliche Erbin
in Betracht kam, ausfindig zu machen. Solche Briefe, so der Notar, seien reine
Routine.
Die wenigen Worte in Hercules Testament, die auf diese Frau Bezug
nahmen, waren zwar ausgesprochen nüchtern formuliert, doch glaubte Bruno ihnen
einen traurigen Unterton anzumerken, was er auch dem Notar gegenüber erwähnt
hatte. Der konnte eine Erklärung anbieten. Als die französischen Streitkräfte 1954 aus Vietnam abgezogen worden waren,
hatte Hercule seine junge Ehefrau, eine Vietnamesin, mit nach Frankreich
genommen. Immer noch im Dienst des militärischen Abschirmdienstes, war er für
kurze Zeit im nato -Hauptquartier in Fontainebleau stationiert gewesen und
dann, kurz nachdem er erfahren hatte, dass seine Frau schwanger war, nach
Algerien abkommandiert worden. Sie blieb in Paris bei vietnamesischen
Verwandten und starb bei der Geburt des Kindes. Während Hercule in Algerien
seinen Dienst versah, wuchs die Tochter in Paris auf. Er sah sie nur
gelegentlich, wenn er Urlaub hatte. Aus Sicherheitsgründen musste er sogar auf
diese kurzen Kontakte verzichten, als die Generäle 1961 putschten und der Krieg mit der oas ausbrach. Hercule stand im
Brennpunkt dieser Auseinandersetzungen. Ein Besuch seiner Tochter hätte sie in
große Gefahr gebracht.
Als er sich nun am Tisch in der mairie von Sainte
Alvere umblickte -
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