Schwarze Engel
verloren wäre, wenn er wieder zu rauchen anfing, daß er nie mehr von ihr hören würde.
»An was denkst du gerade, Harry?«
Er sah auf. Rider kam durch die offene Tür des Wagens.
»An nichts. An alles. Wir stehen wirklich noch ganz am Anfang. Es gibt noch eine Menge zu tun.«
»Keine Ruhepause für die Mühseligen und Beladenen.«
»Das kannst du laut sagen.«
Sein Pager ertönte, und er riß ihn sich mit der Hast eines Mannes vom Gürtel, dem er in einem Kino losging. Die Nummer auf dem Display kam ihm bekannt vor, aber er konnte sich nicht erinnern, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Er holte das Handy aus seinem Aktenkoffer und tippte sie ein. Es war die Privatnummer von Deputy Chief Irvin Irving.
»Ich habe mit dem Polizeichef gesprochen«, sagte er. »Das mit Reverend Tuggins übernimmt er. Darum brauchen Sie sich also nicht zu kümmern.«
Das Wort Reverend sagte Irving mit einem höhnischen Unterton.
»Gut.«
»Und? Wie sieht es aus?«
»Wir sind noch am Tatort, werden hier gerade fertig. Wir müssen uns in dem Wohnhaus hier noch nach Zeugen umhören. Dann brechen wir auf. Elias hatte ganz in der Nähe eine Wohnung. Zu ihr war er unterwegs. Sobald die Durchsuchungsbefehle unterschrieben sind, müssen wir uns dort und in seiner Kanzlei mal umsehen.«
»Was ist mit den Angehörigen der Frau?«
»Das mit Perez dürfte mittlerweile auch erledigt sein.«
»Wie lief es bei Elias zu Hause?«
Da Irving erst jetzt fragte, nahm Bosch an, er tat es nur, weil es der Polizeichef wissen wollte. Bosch schilderte ihm kurz, was passiert war, und Irving stellte ihm verschiedene Fragen zu den Reaktionen von Elias’ Frau und Sohn. Bosch merkte, daß er sie unter dem Gesichtspunkt ihrer PR-Verwertbarkeit stellte. Er wußte, die Art, wie Elias’ Familie auf den Mord reagierte, hätte genau wie Preston Tuggins’ Reaktion unmittelbaren Einfluß darauf, wie die Black Community von Los Angeles reagieren würde.
»Im Moment sieht es also nicht danach aus, als würden die Witwe und der Sohn zu einer Entspannung der Lage beitragen, oder sehe ich das falsch?«
»Vorerst halte ich diese Einschätzung für durchaus zutreffend. Aber wenn sie den ersten Schock überwunden haben, könnte sich das ändern. Vielleicht sprechen Sie ja mal mit dem Chief, ob er die Witwe nicht persönlich anrufen möchte. Ich habe in ihrem Haus ein Foto von ihm und Elias hängen sehen. Wenn er schon mit Tuggins redet, könnte er vielleicht auch mit der Witwe sprechen, ob sie uns nicht helfen kann.«
»Mal sehen.«
Irving wechselte das Thema und teilte Bosch mit, daß das Besprechungszimmer im fünften Stock des Parker Center für die Ermittler hergerichtet war. Der Raum sei im Moment nicht abgeschlossen, aber Bosch werde am Morgen die entsprechende Anzahl von Schlüsseln erhalten. Sobald die Ermittler den Raum bezogen hätten, müsse er immer abgeschlossen bleiben. Er werde um zehn Uhr hinkommen und rechne bei der Teambesprechung mit einer ausführlicheren Zusammenfassung über den Stand der Ermittlungen.
»Aber sicher, Chief«, sagte Bosch. »Bis dahin dürften wir die Befragung möglicher Zeugen und die Durchsuchungen abgeschlossen haben.«
»Sehen Sie zu, daß Sie auch wirklich bis dahin fertig werden. Ich werde auf Sie warten.«
»In Ordnung.«
Bosch wollte gerade auflegen, als er Irvings Stimme noch einmal hörte.
»Wie bitte, Chief?«
»Noch eins. Wegen der Identität eines der beiden Mordopfer hielt ich es für meine Pflicht, den Inspector General zu informieren. Sie schien – wie soll ich sagen? – sie schien brennend an dem Fall interessiert, als ich ihr die Fakten mitteilte, die mir zu diesem Zeitpunkt vorlagen, wobei ›brennend‹ vermutlich noch untertrieben sein dürfte.«
Carla Entrenkin. Fast hätte Bosch laut geflucht, beherrschte sich aber noch. Der Inspector General war eine neue Einrichtung innerhalb der Polizei: ein Bürger, der von der Police Commission als unabhängige zivile Aufsichtsinstanz eingesetzt wurde und uneingeschränkt befugt war, Ermittlungsverfahren zu überwachen. Es war ein weiterer Schritt zur Politisierung der Polizei. Der Inspector General unterstand der Police Commission, die wiederum dem Stadtrat und dem Bürgermeister verantwortlich war. Aber es gab noch andere Gründe, weshalb Bosch fast loszufluchen begonnen hätte. Der Umstand, daß er Entrenkins Privatnummer in Elias’ Adreßbuch gefunden hatte, bereitete ihm Kopfzerbrechen. Das eröffnete eine ganze Reihe von Möglichkeiten und
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