Schwarze Fluten - Roman
Anspruch auf die fantastische Krankenversicherung der Schauspielergewerkschaft.
Bei meinem Weg durchs Gelände hatte ich angestrengt darüber nachgedacht, wie verblüfft Noah Wolflaw war, weil er Annamaria eingeladen hatte. Henry Lolam und Paulie Sempiterno hatten das ebenfalls absolut nicht verstanden. Wenn diese Leute Geheimnisse hatten, die sie ins Gefängnis bringen konnten, dann war es tatsächlich selbstzerstörerisch, Fremde nach Roseland einzuladen.
Annamaria besaß zwar Charisma im wahrsten Sinne des Wortes und weckte in anderen Menschen den Wunsch, ihr zu helfen, aber sie war keine Voodoo-Priesterin, die sich mit einem Zauberspruch überall Zugang verschaffen konnte. Sie hatte zu Wolflaw gesagt, er habe uns mit einer bestimmten Absicht hierher geholt, und sie schien zumindest eine vage Idee zu haben, worin diese Absicht bestand. Ihrer rätselhaften Natur gemäß verriet sie das allerdings niemandem, nicht einmal mir.
In Pico Mundo hatte ich meinen väterlichen Freund Wyatt Porter, den dortigen Polizeichef, insgeheim bei der Aufklärung von Mordfällen unterstützt. Deshalb wusste ich, dass manche Gewohnheitsverbrecher, vor allem solche, die Gewalttaten mit einem perversen Touch begehen, erwischt werden wollen. Nicht alle von ihnen, vielleicht nicht einmal die meisten, aber manche doch. Es ist ihnen nicht unbedingt klar, dass sie erwischt werden wollen, doch sie zeigen unbewusst ein typisches Verhalten, durch das man einen Zusammenhang zwischen ihren Verbrechen herstellen kann. Sie verhöhnen die Polizei und gehen dabei immer größere Risiken ein – mit denen sie sich früher oder später unvermeidlich ans Messer liefern.
Wenn Wolflaw also irgendetwas Bizarres praktizierte, dann war er dessen auf einer tieferen Ebene seines Bewusstseins womöglich überdrüssig, fühlte sich davon gefangen und wollte ihm ein Ende bereiten. Wie bei jeder tief verwurzelten schlechten Gewohnheit konnte es jedoch schwierig sein, den Wahnsinn aufzuhalten.
Während ich dastand und überlegte, ob ich eine der Hintertüren des Gärtnerhauses aufbrechen sollte, kam mir plötzlich ein Gedanke. Hatte Wolflaw in seinem unbewussten Wunsch, entlarvt und aufgehalten zu werden, mir etwa den Schlüssel dazu gegeben?
Ich steckte den Schlüssel zum Gästeturm in die Tür. Er ließ sich drehen. Die Schlösser der beiden Gebäude waren identisch.
Zuerst gelangte ich in die Garage. Auf zwei der drei Stellplätze standen Fahrzeuge, verkleinerte Pritschenwagen, wie sie im Gartenbau verwendet wurden. Es waren antike Modelle mit Armaturen aus poliertem Messing, runden, aufgesetzten Scheinwerfern und eleganten Rädern mit Drahtspeichen, wie keine Firma sie heute bei einem Nutzfahrzeug mehr verwenden würde. Sie waren in tadellosem Zustand.
An die Garage angeschlossen war ein Werkzeuglager mit Schaufeln, Rechen und Hacken. An der Wand hingen Sicheln. Sämtliche Geräte waren so sauber wie Operationsbesteck.
In der Mitte des Lagers standen offene Regale, um die ich herumging. Alle leer und staubfrei.
In den Betonboden waren viele der Kupferstäbe eingelassen, die ich bereits bestens kannte. Wie üblich war an ihrem sichtbaren Ende eine lang gestreckte Acht eingraviert.
Nirgendwo fand ich Säcke mit Dünger, Dosen mit Insektenpulver und ähnliche Gartenutensilien.
Ich zog die Schubladen eines Schranks auf, die hauptsächlich Handwerkszeug enthielten. Dabei entdeckte ich eine Metallbügelsäge, die ich mitnahm, samt einem Päckchen Ersatzblätter, das ich in eine Innentasche meines Sakkos schob.
Einen Schraubenzieher ließ ich ebenfalls mitgehen. Der war zwar nicht so gut geeignet wie ein Messer, konnte jedoch allerhand Schaden anrichten. Der Handgriff war aus Holz statt aus Plastik.
Der bessere Odd Thomas in mir rebellierte zwar gegen die Vorstellung, jemandem einen Schraubenzieher oder eine andere Waffe in den Leib zu rammen, ich wusste jedoch aus schlimmer Erfahrung: Wenn man mich in eine Ecke trieb, dann konnte ich richtig fiesen Kerlen genau das antun, was sie von mir haben wollten. Fiesen Frauen übrigens auch. In mir ist eine Dunkelheit, die sich, wenn sie durch Dunkelheit herausgefordert wird, erhebt und Ausdruck verschafft. Ich handle so, um Unschuldige zu beschützen, aber manchmal frage ich mich unwillkürlich, ob ich am Ende meines seltsamen Weges in meinem eigenen Herzen noch unschuldig sein werde oder wenigstens Vergebung erlangen kann.
Im Erdgeschoss war auch das Büro von Mr. Jam Diu untergebracht. Die
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