Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
London? Es hatte ganz ohne Zweifel etwas mit dem zu tun, was sie ihm berichtet hatte. Großer Gott – wollte er etwa die Chrestles zur Rede stellen? Ihnen Vorwürfe machen, dass sie ihm Clarissas Verhältnis zu ihrem Bruder verschwiegen hatten? Aber wem konnte das jetzt noch nützen? John und Clarissa waren tot.
Die Angestellten waren wenig begeistert, das schwere Gepäck nun wieder aufladen zu müssen. Es war weit nach Mitternacht und alle waren vollkommen übermüdet. Dessen ungeachtet drängte Marlow energisch zum Aufbruch, legte selbst mit Hand an und beorderte Violet in den Hof, kaum dass sie die Reisetasche gepackt hatte. Fröstelnd stand sie neben Mrs. Fox im Hauseingang, sah kopfschüttelnd zu, wie die Männer sich mühten die unwilligen Pferde einzuspannen und sorgte sich um Nicholas.
„Du weißt, dass es gefährlich für dich sein kann, zurück nach London zu reisen“, sagte sie zu ihm, als sie beide in der Kutsche saßen.
Er schien ihr nicht zuzuhören. Aufmerksam blickte er durch das winzige Rückfenster der Kutsche und setzte sich erst wieder im Sitz zurecht, als die beiden Laternen am Eingang des Gutshauses so weit entfernt waren, dass ihr Licht zu einem einzigen, hellen Pünktchen verschmolz.
Erst jetzt schien er ihre Frage wahrgenommen zu haben und sah sie forschend an.
„Wie kommst du darauf, dass mir in London Gefahr drohen könnte?“
Sie musste nun Farbe bekennen – es war gut so. Sie hätten längst darüber sprechen müssen – wenn sie nur die Zeit dazu gehabt hätten.
„Ich habe zufällig einige Sätze gehört, die du mit Jeremy Forch gewechselt hast. Und ich weiß es auch von Grace. Irgendwelche verrückten Menschen halten dich für den Mörder von Whitechapel.“
Er presste die Lippen zusammen.
„Von Grace? Wann hast du mit ihr gesprochen?“
„Ich traf sie heute früh, als ich zu den Chrestles ging. Sie hat mir allerlei Unsinn über dich erzählt, den ich nicht wiederholen möchte. Aber mir ist klar geworden, dass es eine gute Entscheidung war, London für eine Weile zu verlassen.“
„Grace hat dir erzählt, sie halte mich für den Mörder von Whitechapel? Wie kommt sie darauf?“
Sie blickte in sein blasses, angespanntes Gesicht und wurde nun tatsächlich sehr besorgt. Seine Augen glänzten fiebrig – spielten ihm vielleicht gar seine Nerven einen Streich?
„Ich glaube, sie hört solche Gerüchte von ihren Kunden. Es wird viel dummes Zeug in ihrem Salon geredet. Aber auch wenn es nur üble Nachrede ist – wir sollten auf keinen Fall nach London zurückkehren. Lass uns umdrehen und nach Dover reisen, wie du es geplant hast.“
Er hörte ihr gar nicht zu, sondern stierte vor sich hin. Violet beobachtete voller Sorge seine starren Züge und wollte schon weitersprechen, als er plötzlich den Kopf hob und sie fest bei den Schultern fasste.
„Hör zu, Violet“, sagte er. „Ich habe wochenlang mit einem Phantom gekämpft. Jetzt hat es ein Gesicht und einen Namen und ich werde nicht davonlaufen, sondern John Chrestle zur Strecke bringen.“
Sie zitterte vor Entsetzen. Er war völlig durcheinander. Es war ihre Schuld, diese schreckliche Geschichte hatte ihm den Verstand geraubt.
„John Chrestle ist tot, Nicholas“, sagte sie langsam und eindringlich, als rede sie mit einem Kind. „Er starb vor fast zwei Jahren in Ägypten.“
Er lachte auf und sie erschrak, denn es klang grell und irrsinnig.
„John Chrestle lebt, darauf schwöre ich jeden Eid. Er ist nach London zurückgekehrt und versucht seit drei Monaten, mich als Mörder von Whitechapel an den Galgen zu bringen.“
Sie starrte ihn an und brachte kein Wort heraus. Entweder war Nicholas vollkommen verrückt geworden, oder … Aber das konnte doch gar nicht sein.
„Ich bin ganz sicher, Violet. Es gibt jemanden, der sich beständig bemüht, mich bei der Polizei in Mordverdacht zu bringen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Mensch selbst der Mörder ist.“
„Aber … weshalb hast du deinen Verdacht nicht der Polizei mitgeteilt?“
Er lachte bitter auf.
„Wer hätte mir das geglaubt? Ich habe nur eine Vermutung, aber keinen einzigen Beweis. Keinen Namen, kein Gesicht – mir war nur klar, dass es Clarissas geheimnisvoller Liebhaber sein musste. Kein anderer Mensch auf der Welt hätte einen solch abgrundtiefen Hass gegen mich haben können.“
„Und was willst du jetzt tun?“
Er zog sie dicht zu sich heran und sie spürte, dass er vor Aufregung zitterte.
„Es sind die Taten eines
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