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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Ewan
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gestutzter Bart lieferte nicht den entscheidenden Hinweis, aber hätte ich die Fliege sehen können, die er trug, hätte mir das sicher weitergeholfen. Die letzte Teilnehmerin hätte italienischer nicht aussehen können, nicht mal, wenn sie auf einer Pasta-Werbung abgebildet gewesen wäre. Mittleren Alters und mit leicht birnenförmiger Figur trug sie eine Bluse, die das Auge nur unwesentlich weniger blendete als ihr strahlendes Lächeln.
    Sie schien an dem Spiel ihre helle Freude zu haben, obwohl schwer zu verstehen war, weshalb. Ihre Chipsammlung war eher bescheiden und bestand aus vielleicht zehn Jetons. In Führung lag momentan die asiatische Dame, die genügend Chips zu horten schien, um ein eigenes Casino aufzuziehen. Sie hatte die Jetons ordentlich aufgestapelt und die Stapel wiederum hübsch aufgereiht, was ein wenig wirkte, als rechnete sie eine sehr hohe Zahl auf einem eigens angefertigten Abakus aus. Zweiter nach ihr war der weißhaarige Herr, und gleich dahinter kam unser Freund Brutus Naseweis.
    Zufällig hörte ich das Gespräch zweier Amerikaner mit, die gleich neben mir standen, und sofort nahm ich Blickkontakt mit einem der beiden auf. Er war dunkelhäutig und wirkte sehr gepflegt. Zu seinem perfekt gestutzten Ziegenbärtchen trug er funkelnde Diamantohrringe.
    »Was ist denn da los?«, erkundigte ich mich.
    »Black-Jack-Turnier.« Er trat einen Schritt zurück, als müsse er über meine Ignoranz staunen. »Läuft schon die ganze Woche. 10 000 Euro Startgeld. Das ist der Finaltisch.«
    Victoria reckte den Kopf in seine Richtung. »K.-o.-System?«
    »Natürlich. Der Gewinner bekommt den ganzen Topf.«
    »Den ganzen Topf?«
    Er schaute zur Decke, und Victoria und ich folgten seinem Blick mit den Augen. An einer Kette über dem Black-Jack-Tisch baumelte eine durchsichtige Glaskiste. Darin befand sich ein Aktenkoffer mit halb aufgeklapptem Deckel, unter dem ein Bündel ordentlich aufgestapelter Banknoten hervorlugte. Und nicht, dass ich jetzt wüste Vermutungen anstellen oder voreilige Schlüsse ziehen wollte, aber irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, dieses Köfferchen würde seinen neuen Besitzer um eine satte halbe Million Euro bereichern.
    Ziemlich beeindruckend. Geradezu atemberaubend, wie manche sicher behaupten würden. Aber es war nicht der Gewinn, der mich faszinierte. Nein, mir fielen beim Anblick des Koffers selbst beinahe die Augen aus dem Kopf. Den hatte ich nämlich schon mal gesehen – oder vielmehr einen, der diesem zum Verwechseln ähnlich sah. Ich hatte ihn in meinen eigenen Händen gehalten, ihn unter meinem Bett versteckt und war damit in einen Palazzo eingebrochen. Dann hatte ich seine Zahlenschlösser geknackt, ihn aufgeklappt und damit versehentlich die darin versteckte Bombe gezündet.
    Jawohl, genau deswegen stellten sich mir die Nackenhaare auf, und mein Mund wurde ganz trocken. Denn dieser Aktenkoffer sah wirklich haargenau so aus wie der, den ich von Graziella bekommen hatte.
    »Und wieso ist ein Platz nicht besetzt?«, hörte ich Victoria fragen.
    »Ach das«, antwortete der zweite Amerikaner, ein aufgedunsener Weißer, ungefähr doppelt so alt wie sein Begleiter. »Das ist heute Abend das Tuschelthema. Der Typ ist einfach nicht aufgetaucht. Ein Herzog oder irgend so was Abgefahrenes. 500 000 Euro sind für den vermutlich bloß Peanuts.«
    Worauf ich nur geistesabwesend nickte und mich dann zu Victoria umdrehte und ihr durch bedeutungsvolle Blicke zu verstehen zu geben versuchte, dass da gerade etwas Ungeheuerliches passiert war – und ich ihr etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Ehrlich gesagt erschien mir die Sache mit dem Aktenkoffer so bedeutungsschwanger, dass, wenn ich diese Szene selbst geschrieben hätte, hätte ich sie just in dem Moment der Entdeckung enden lassen, als es bei mir klick gemacht hatte. Wobei ich allerdings außer Acht gelassen hätte, dass Victoria, stets darauf bedacht, in schriftstellerischer Hinsicht immer noch ein bisschen mehr aus mir herauszukitzeln, sicher ebenfalls ihren Senf dazugegeben hätte. Und sie war der Meinung, eine Enthüllung sei einfach nicht genug.
    Sie legte mir den Arm um die Schultern und zog mich zu sich heran, bis mein Ohr ganz dicht an ihrem Mund war. »Charlie«, wisperte sie, »ich muss dir was sagen. Siehst du den weißhaarigen Mann da am Black-Jack-Tisch?«
    Ich nickte.
    »Tja, das ist mein Vater.«

Dreißig
     
    In dem Moment, als Victoria mir ebendiese Worte ins Ohr flüsterte, ging mir auf, dass der Kerl mir

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