Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
…«
»Was gibt es dann so Wichtiges?« Wieder waren da diese Stimmen im Hintergrund. Ly hatte das Gefühl, dass Thuy die Hand über die Muschel hielt. Gab es etwas, das er nicht hören sollte? Der Gedanke schmerzte ihn. Er merkte, wie sehr er seine Frau vermisste.
Bevor er etwas sagen konnte, kam Thuy ihm zuvor: »Denkst du bitte daran, eine neue Gasflasche für den Herd zu kaufen? Die alte müsste fast leer sein.«
»Ich …«
»Ly, der Bus fährt gleich ab. Ich muss wirklich los.« Und dann hatte sie auch schon aufgelegt. Ly hielt den piepsenden Hörer umklammert.
*
Im Präsidium fing Lan Ly vor seinem Büro ab. Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts Gutes. »Der Chef tobt. Du sollst sofort zu ihm kommen.«
»Was will er?«
»Was meinst du wohl?« Sie sah ihn verwundert an.
Natürlich wusste Ly das. Er war aus der Sitzung, die er selbst einberufen hatte, abgehauen und nicht wieder aufgetaucht. »Er kann mich mal.«
Ly ließ Lan stehen und knallte seine Bürotür hinter sich zu. Er warf sich auf die Couch und rauchte eine Zigarette, dann noch eine. Einer seiner Regenbogenfische trieb ander Wasseroberfläche. Auf dem Korridor näherten sich Schritte, und Lan steckte den Kopf durch die Tür. »Sag schon, was ist los? Ist etwas mit Huong?« Sorge lag in ihrer Stimme.
Nach einer weiteren Zigarette erzählte Ly ihr mit stockenden Worten, was passiert war. Während er sprach, fuhr er sich wieder und wieder mit der Hand über die Augen. Zwischen Lans sorgsam gezupften Augenbrauen zog sich eine steile Falte. »Ich beantrage Personenschutz für euch«, sagte sie.
»Diese Lackaffen vom Sicherheitsdienst? Im Notfall retten die nur sich selbst.«
»Stell zumindest einen Beamten vor euer Haus«, schlug Lan vor.
»Du kennst meine Mutter. Das würde sie niemals zulassen.«
Lan seufzte. »Wo ist Huong jetzt?«
»Ich habe sie in der Schule krankgemeldet. Minh passt auf sie auf. Der Vorfall sitzt ihr ganz schön tief in den Knochen.«
»Und dir auch«, stellte Lan fest.
Er nickte. Er hatte Angst. Ihm war klar, dass sie sich genauso gut an seinem Sohn vergreifen konnten oder an irgendjemand anderem aus seiner Familie. Er würde die Polizei im Dorf seiner Schwiegermutter anrufen. Sie sollten ein Auge auf seinen Sohn haben. In dem kleinen Dorf fielen Fremde sofort auf. Und Thuy war außer Reichweite. Er wusste ja selbst nicht mal genau, wo sie sich aufhielt.
»Du bist der Lösung offenbar verdammt nah. So nah, dass irgendjemand nervös wird«, sagte Lan.
»Wir haben partout nichts in der Hand.«
»Hai Au?«
Ly stand auf, zog den toten Fisch aus dem Wasser und warf ihn in den Mülleimer. Mit dem Finger rubbelte er eine verschmierte Stelle an der Scheibe des Aquariums sauber. »Würde Hai Au mich nicht gleich abknallen, anstatt meine Tochter zu bedrohen?«
»Du bist Polizist. Das will er möglicherweise nicht riskieren.«
Geistesabwesend streute Ly Futter ins Aquarium. Gierige Mäuler stieben durch die Wasseroberfläche. Nur der Zebrawels wartete auf einem mit Algen bewachsenen Stein, dass das Futter aufweichte und zu ihm hinabsank. Ly beneidete ihn um seine Geduld, eine Eigenschaft, die ihm selbst fehlte.
Lan beobachtete die Szene eine Weile, dann tippte sie auf ihre Armbanduhr und sagte: »Ich glaube, du solltest den Chef nicht länger warten lassen.«
»Lass dir eine gute Ausrede einfallen. Bitte. Den ertrag ich jetzt nicht.«
*
Ly wollte allein sein. Ein, zwei Stunden schlafen. Er ging nach Hause. Im Erdgeschoss hinter dem Ladentisch saß Tam. Lys Mutter lag im Bett, das Wetter machte ihrem Kreislauf zu schaffen. Sein Bruder hockte auf dem öligen Boden und reparierte Lys Vespa. Sie hatten einen Cyclofahrer beauftragt, die Vespa vom Westsee herzufahren. Der Sturz am Abend zuvor war ihr nicht allzu gut bekommen. Daneben, auf einem Schemel, saß Tante Thoa und blickte ins Leere, in den Händen eine Schale Reisbrei.
Ly hatte nicht viel Lust, jetzt mit Tam zu reden. Er fühltesich zu erschöpft. Aber er konnte auch nicht einfach an ihr vorbeigehen. Also setzte er sich zu seiner Schwester. Er schaute sie lange schweigend an. Ihre rechte Gesichtshälfte war geschwollen, das Auge grün unterlaufen, und die Lippen waren verschorft. Lys Magen zog sich zusammen.
»Tam. Das darfst du nicht mit dir machen lassen«, sagte er so sanft wie möglich.
»Ngoc ist mein Mann.«
»Du findest auch einen anderen. Einen besseren.«
»Als geschiedene Frau?« Sie schüttelte den Kopf und lachte mit erstickter Stimme.
»Hat er
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