Schwarze Schilde
starke Vorhut ritt vor dem Haupttrupp, blieb aber in Sichtweite. Während der Reise gab es kein Hin und Her zwischen den Truppen, außer, wenn Befehle weitergegeben wurden, damit jeder Offizier wusste, wo sich seine Leute aufhielten. In den ersten Jahren hatten sich Haels Anhänger über diese Bestimmungen aufgeregt und sie als unkriegerisch bezeichnet. Das hatte sich gegeben, als ihnen klar wurde, wie ausgezeichnet sich diese Ordnung im Kampf bewährte.
Die Männer trugen keinen unnötigen Ballast mit sich. Ein paar Packtiere schleppten Ersatzwaffen und kleine Zelte, aber das war alles. Von den Reitern wurde unterwegs ein genügsames Leben erwartet, da die Beweglichkeit ihre größte Stärke war. Sie verließen sich auf ihre Bögen und mussten nicht hautnah an den Feind herankommen. Da sie den Nahkampf vermieden, benötigten sie keine schweren Rüstungen. Manche Stämme bevorzugten schützende Hemden, die aus etlichen Schichten von Häuten bestanden und trugen Helme aus gehärteten Sehnen. Die meisten hatten kleine runde Schilde am Sattel hängen. Hael hatte alles andere verboten, aber der größte Teil seiner Leute trug keine Schutzkleidung und hielt die Schilde für völlig ausreichend, um sich gegen feindliche Pfeile und Lanzen zu verteidigen.
Hael war sicher, über die stärkste Armee der Welt zu verfügen, ein bewegliches Werkzeug, in dem sich die Tapferkeit und die Begeisterung der Krieger mit Ordnung und Disziplin paarten. Bisher hatte sie sich noch nicht mit einer anderen Armee messen müssen. Wie komisch, dachte er, dass die erste Bewährungsprobe gegen eine ähnliche Truppe ansteht, die nicht beritten ist und von meinem Ziehbruder angeführt wird.
Er dachte mit gemischten Gefühlen daran, gegen sein ehemaliges Volk in den Krieg zu ziehen. Die Shasinn hatten ihn nicht gut behandelt, aber er dachte gern an das Leben als junger Krieger zurück. Er erinnerte sich an Freundschaften, die während dieser Zeit entstanden waren. Er dachte an die Frau, die er geliebt – und die ihn verraten hatte.
Am zehnten Tag der Reise machten sie am Fuße einer kleinen Gebirgskette halt. Sie waren vollzählig, aber die anfänglich überschäumende Stimmung der ersten Tage hatte sich in Ernsthaftigkeit gewandelt. Vor ihnen lag ein unbekanntes Land. Die Krieger herrschten über die ganze Steppe, aber keiner von ihnen hatte je die Berge überquert. Sie waren nicht einmal die unteren Abhänge emporgeritten. Was dahinter lag, kannten sie nur aus Legenden, die von finsterer Magie und bösen Geistern erzählten.
Augenblicklich machte sich Hael mehr Gedanken wegen des Klimas als irgendwelcher Magie. Er betrachtete das saftige Gras und blickte zu den großen Wolken empor, die sich am Himmel auftürmten.
»Hier wächst fast das ganze Jahr hindurch Gras«, bemerkte er. »Dennoch heißt es, auf der anderen Seite der Berge beginne die Wüste. Seht ihr, dass die Berge nicht besonders hoch sind? Warum sollte es auf der anderen Seite trocken sein?«
»Weil ein Fluch über dem Land liegt«, verkündete Bamian, einer der Amsihäuptlinge. »Der Geistersprecher meines Stammes sagt, dass der Mond das Gebiet verfluchte, weil die Riesen von dort aus mit glühenden Speeren nach ihm warfen.«
»Die Erklärung ist so gut wie jede andere, bis wir es mit eigenen Augen sehen«, erwiderte Hael. »Heute schlagen wir unser Lager hier auf. Sorgt dafür, dass alle Cabos ausgiebig getränkt werden. Anschließend soll jeder Mann so viel Gras abschneiden, wie er auf seine Tiere laden kann. Wir wissen nicht, ob sie auf der anderen Seite Futter finden, und ich will auf alles vorbereitet sein.«
Die Befehle wurden weitergegeben, und die Krieger machten sich an die Arbeit. Die meisten von ihnen hassten alles, was nach harter Arbeit aussah, waren aber bereit, jegliche Mühe bei der Sorge für die Cabos auf sich zu nehmen, gleichgültig, wie anstrengend es auch sein mochte. Jeder der Männer trug eine hölzerne Sichel bei sich, deren Schnittkante mit messerscharfen Feuersteinsplittern gespickt war. Schon bald verteilten sie sich über die Steppe, packten büschelweise Grashalme und schnitten sie dicht über dem Boden ab. Lange Halme wurden zu Kordeln geflochten, mit denen sie das Gras zusammenbanden. Daheim erledigten die Frauen diese Arbeit, aber von den Kriegern wurde erwartet, dass sie auf dem Feldzug selbst zupackten.
Jochim näherte sich Hael, der den ungewohnten Anblick in sich aufnahm. Der Matwa war hinter den Grasbündeln, die vorne an seinem
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