Schwarze Schmetterlinge
gewesen. Alles hat seinen Preis.
Er starrte auf sein Handy. Sollte er sie anrufen? Nein, wenn sie mitten in der Arbeit war, dann wollte er sie nicht stören. Er hörte die Mailbox ab. Die drei letzten Mitteilungen waren von Felicia. Sie handelten davon, was sie mit ihm anstellen würde, wenn sie nach Hause käme. Die erste Nachricht hatte er während der Kaffeepause im Aufenthaltsraum abgehört und war so heftig errötet, dass Lena gefragt hatte, ob es ihm nicht gut ginge. Die anderen beiden hatte er dann lieber in Abgeschiedenheit abgehört. Nachdem er das Abendessen so weit wie möglich vorbereitet hatte, hatte er immer noch nichts von Felicia gehört. Eine Unruhe machte sich in ihm breit, und er beschloss, joggen zu gehen, eine kürzere Runde auf der beleuchteten Strecke an der Universität.
Draußen nieselte es. Über dem Wald lag grauer Dunst. Auf der ersten Runde schien er einem jungen Mädchen mit Pferdeschwanz Angst zu machen. Sie drehte sich ständig um und starrte ihn an, als er immer näher kam. Er versuchte, freundlich zu lächeln, als er an ihr vorbeilief, nicht zu freundlich, eher väterlich und beschützend. Seine Gedanken kreisten die ganze Zeit um Felicia. Das Zusammentreffen am Bahnhof. Minute für Minute ging er die Begegnung durch. Wie schön sie gewesen war, wie sie da im Schein der Straßenlaterne in ihrem weißen Mantel, mit dem glänzenden dunklen Haar gestanden hatte. Was wusste er eigentlich von ihr? Wo war sie jetzt?
Er schob die unwillkommenen Gedanken beiseite. Wenn Pernillas abwegige Vorbehalte ihn dazu bringen würden, in die falsche Richtung zu denken, dann wäre das ein reiner Betrug an Felicia. Nach einer Runde blieb er stehen und nahm sich eine Handvoll Blaubeeren, während er nachdachte. Zum Entsetzen des armen Mädchens, das, als sie ihn keuchend in den Blaubeeren kauern sah, wie vom Donner gerührt stehen blieb und geradewegs in den Wald rannte.
»Ich bin Polizist. Ich kann mich ausweisen«, rief er ihr hinterher, erntete jedoch nur einen angsterfüllten Blick.
Um neun Uhr hatte Felicia immer noch nichts von sich hören lassen. Per schaltete die Nachrichten ein, konnte sich aber nicht konzentrieren. Fotos vom Brand im Conventum wurden mit Interviews von Feuerwehrleuten, der Leitung des Kongressgebäudes und der Allgemeinheit gemischt. Bilder von der Preisverleihung glitten über den Bildschirm. Herren im Frack. Ein Interview mit dem Sprecher des Verbandes. Frank Leanders Gesicht huschte in Sequenzen aus einem Amateurfilm in Schwarz-Weiß vorbei. Private Bilder. Sommer am Strand. Leander, der am Meeresufer entlanggeht und ein kleines Mädchen an der Hand hält. Das Kind lässt seinen Eimer fallen und zeigt auf eine Sandburg weiter hinten. Er lacht und nimmt sie auf den Arm. Zusammen sehen sie sich die Burg an, die sie gebaut hat. Beide lachen in die Kamera.
Per Arvidsson saß immer noch da und wartete auf den Wetterbericht, als der Spielfilm auf dem Vierten schon lange angefangen hatte. Könnte Felicia etwas zugestoßen sein? Die Angst, die das Mädchen auf dem Joggingweg empfunden hatte, war sicherlich nicht völlig unberechtigt. Ab und zu geschah es ja … Sollte er Felicia vor dem Krankenhaus abholen? Per drückte ihre Nummer auf seinem Handy und wurde von ihrer Mobilbox begrüßt. Er hinterließ eine wenig geistvolle Nachricht und fluchte vor sich hin. Sie könnte doch wenigstens mal anrufen. Es war doch klar, dass er sich fragte, wo sie blieb.
Per schaltete den Fernseher aus und legte eine CD von Eva Cassidy ein. »Autumn Leaves« war die Melodie, die sein Herz am meisten berührte. Das Gefühl, das dieses Lied ihm vermittelte, war gleichbedeutend mit Felicia – eine ständige Sehnsucht, ehe er gewusst hatte, dass sie es war, nach der es ihn verlangte. Wo konnte sie nur sein? Die Musik öffnete ihm wie immer den Zugang zu seinen Gefühlen. Er stand mit Tränen in den Augen am Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. Was weißt du von ihr, Per? Ein Keim der Unruhe, der zur Eifersucht heranwachsen kann. In seiner Nervosität gefangen, wanderte er in der Wohnung herum und berührte alle möglichen Gegenstände. Als das Telefon klingelte, stürzte er sich darauf.
»Per Arvidsson?«
»Hallo, Per. Ich bin’s, Papa. Du hast noch nicht geschlafen?«
»Nein, gar nicht.« Er hoffte, dass man ihm die Enttäuschung nicht anhörte. »Wie geht es dir, Papa?« Es wurde seltsam still in der Leitung. »Hallo, bist du noch dran, Papa?
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