Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
bin sein Bote. Wir haben dich schon lange erwartet.«
»Liegt es in deiner Macht, Mille zurückzubringen? Denn das ist das Einzige, was mich interessiert.« Trotzig sah Lukas zu der Engelserscheinung auf. Er fühlte sich schlecht dabei. Es fühlte sich falsch an und kostete ihn Kraft, Zorn zu empfinden, wo alles um ihn herum heiter und glückselig war. Doch auch in seinen Adern floss Engelsblut. Es schien zu kochen und machte ihn zunehmend wütender. Er war das Ränkespiel der Überirdischen einfach leid.
»Nein«, antwortete der Engel bedauernd. »Auch wenn ich sie einst vor den Sendboten der Hölle errettet und mit meinem Licht erfüllt habe. Ich liebe sie, wie Mutter und Vater ihre Kinder lieben …«
Johannes’ Tochter!
Lukas erinnerte sich plötzlich wieder an die Anrede, die Urds Spiegel für Millepertia gebraucht hatte. Hatte Gabriel Millepertia mit der gleichen Macht erfüllt, wie es der Engel einst auch mit Johannes dem Täufer getan hatte? In diesem Fall hatte Urds Spiegel Millepertia schon vor Tagen einen verborgenen Hinweis gegeben, wer ihre Geschicke lenkte und …
Noch ehe Lukas den Gedanken festhalten konnte, fuhr der Erzengel fort. »Doch allen Geschöpfen Gottes wurde der freie Wille gegeben. So auch ihr. Millepertia hat ihr Schicksal selbst gewählt. Gegen einen Höllenpakt vermögen auch wir nichts auszurichten.«
»Warum hast du sie all die Zeit über beschützt, wenn du ihr am Ende doch nicht helfen kannst?«, fragte er verbittert.
»Weil nur ihr die Macht gegeben war, dich davor zu schützen, der Finsternis anheimzufallen.« Gabriel blickte mitfühlend auf ihn herab.
»Himmel oder Hölle. Ihr seid alle gleich.« Lukas spürte Zornestränen in sich aufsteigen. »Ihr manipuliert und benutzt uns wie Figuren in einem Spiel. Aber ihr irrt. Was ihr so lieblos betrachtet, ist nicht das Schachbrett, auf dem ihr eure Puppen nach eurem Gutdünken bewegt. Es ist unser Leben.«
»Dessen sind wir uns bewusst, Lukas. Obgleich auch wir nicht ohne Fehler sind, ist all unser Sein darauf gerichtet, euch vor den Verstrickungen der Finsternis zu bewahren.«
»Dann
rettet
uns!«, schrie er den Engel an und spürte, wie ihn die Trauer übermannte. »Gebietet dem Wahnsinn endlich Einhalt!«
»Darum bin ich gekommen. Um dir einen Weg zu dem Ziel aufzuzeigen, das du dir erhoffst. Es ist dein Weg, Lukas. Deine Wahl. Derjenige, der dem Wahnsinn Einhalt gebieten kann, bist du.«
»Ich?«
»Ja, Lukas. Denn in deinen Adern strömt Luzifers Blut.«
Verwirrt starrte er zu dem Erzengel auf. Dass in seinen Adern Mephistos Blut floss, fühlte er mehr denn je, aber wie Millepertia und ihm das weiterhelfen sollte, verstand er noch immer nicht.
Gabriels strahlende Lichtgestalt schwebte näher.
Lukas spürte ein sehnsuchtsvolles Prickeln und eine Ehrfurcht, die ihn mit aller Macht auf die Knie zwang. Doch er wollte nicht knien. Vor niemandem.
»Wir können die Hölle nicht betreten«, wisperte der Engel. »Doch du, Lukas, du kannst diesen Weg beschreiten. Du kannst tun, was uns unmöglich ist.«
»
Was
ist euch unmöglich?«
»Die Hölle aufzusuchen, um unserem Bruder Gottes Botschaft auszurichten …«
Höllenfeuer
L ukas nahm Barbarossas Schwertgehänge an sich und steckte Salomons heilige Klinge zurück in die Waffenscheide. Währenddessen betrachtete er den toten Stauferkönig. Barbarossa lag reglos und von schweren Wunden gezeichnet vor ihm auf dem Höhlenboden; das blutverschmierte rote Haar klebte ihm noch immer im Gesicht. An der Standhaftigkeit dieses Mannes wollte er sich ein Beispiel nehmen.
»Bitte, Lukas, das kann Gabriel doch unmöglich wörtlich gemeint haben«, sagte Abraham zum wiederholten Mal. »Mir ist kein lebendes Wesen bekannt, das die Hölle je zuvor in Fleisch und Blut betreten hat.«
»Doch. Mein Ahne. Vorhin.« Lukas blickte über all die Toten hinweg zu der Höllenpforte am jenseitigen Ende der Höhle, auf der sich inzwischen ein Gitternetz aus glühenden Rissen ausgebreitet hatte. Selbst hier, unweit des Höhleneingangs, konnte man den leichten Luftstrom spüren, den es zu der Pforte hinzog. Bei der Vorstellung, dass von dort schon bald ein gewaltiges Dämonenheer über die Welt hereinbrechen würde, wurde ihm schlecht.
»Und was ist der Inhalt dieser Botschaft?«
»Ich darf sie nur dem Teufel selbst verkünden.« Lukas schloss die Gürtelschnalle und hielt kurz inne. »Ich kann nur hoffen, dass sie ihn beeindruckt. Allerdings bin ich mir dessen nicht so sicher. Außerdem
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