Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Haaren, der so wirkte, als würde er sich für einen Bühnenauftritt bereit machen. Er war nackt, stand mit einem Schminktiegel in der Hand vor einem hochaufragenden Spiegel und trug Rouge auf seine Wangen auf. Auf einem Tisch neben ihm standen weitere Schminkutensilien parat. Dem Spiegelbild zufolge sah der Kerl verdammt gut aus. Direkt hinter dem Tisch mit den Schminkutensilien wallte der Nebel, und wann immer aus den Schlieren Geräusche ertönten, hielt der Unbekannte inne und griff lauernd zu einer Nagelfeile. »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Schönste im ganzen Land?« Er kicherte irre. Nur gab es hier keine Wand, und der Spiegel antwortete auch nicht.
»Entschuldigen Sie, können Sie mir helfen?«
Der Mann wirbelte herum.
Lukas wurde bleich. Sein Körper war vollkommen entstellt und über und über von Narben bedeckt. Die langen Haare ähnelten einer schlecht sitzenden Perücke, die Lippen wirkten wie angenäht und die Nase, als sei sie mehrfach gebrochen und gerichtet worden. Außerdem waren die Hände mit den schwarz lackierten Nägeln unterschiedlich groß.
»Ein
Lebender!?
«, keuchte der Deformierte und schien sein Glück kaum fassen zu können. »Bitte, du musst mir helfen. Sehe ich aus, als könne ich einen Sukkubus zu einer Nacht mit mir überreden?«
»Wen bitte?« Überrumpelt starrte Lukas ihn an.
»Wenn mich ein Liebesdämon erwählt, darf ich die Hölle endlich verlassen. Ich muss ihr bloß
gefallen.
« Er starrte selbstvergessen in den Spiegel, bevor er sich wieder zu Lukas umdrehte. »Also, wie findest du mich? Ich war zu meinen Lebzeiten einer der bestaussehenden Schauspieler Italiens. Wer mir in meiner Karriere auch immer gefährlich wurde, ich hab sie alle ausge…stochen.« Er kicherte.
»Na ja. Es gäbe da vielleicht noch ein bis zwei Dinge, die ich ändern würde«, stammelte Lukas distanziert, »aber …«
»
Was
würdest du ändern? Los, sag schon.« Lauernd kam der Mann auf ihn zu. »Ich
muss
dem Sukkubus gefallen.«
Als er näher kam, sah Lukas seine unterschiedlich farbigen Pupillen. Braun und grün. »Okay, ich sag es dir, wenn du mir sagst, wie ich den Teufel finde.«
»Du willst zum Teufel?« Hektisch betupfte der Fremde sein Gesicht erneut mit Rouge, und seine Wangen wirkten nun wie mit Blut beschmiert. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er Lukas an. »Wenn du bei ihm ein gutes Wort für mich einlegst, könnte ich es dir verraten.«
»Okay. Mach ich. Also schieß los: Wo finde ich ihn?« Lukas verlor langsam die Geduld. Außerdem glaubte er, inmitten des Nebels geduckte Schemen ausmachen zu können, die ihm nichts Gutes verhießen.
»Ich war selbst noch nie beim Höllenthron«, sagte der Unbekannte seltsam in sich gekehrt. »Doch vielleicht weist dir das Geheimnis des Sündenpfuhls den Weg dorthin.«
»Der Sündenpfuhl?«
»Man findet ihn, wo der Blutregen endet. Die im Sündenpfuhl gefangenen Seelen speisen den Brunnen der verlorenen Hoffnung. Manchmal werden Verdammte zu dem Brunnen geführt, weil man in seinem Wasser alles sehen kann, was man sich wünscht. Dabei kann man das doch auch in einem Spiegel …« Er lachte keckernd. »Die meisten zerbrechen an der Wahrheit, die ihnen der Spiegel enthüllt. Oder würde es dir gefallen, deine einstige Geliebte in den Armen eines anderen zu sehen? Einem, mit dem sie nach deinem Tod viel glücklicher ist?«
»Du warst dort? Am Sündenpfuhl?«
»Oh ja.« Nun gloste blanker Hass im Gesicht des Mannes. »Ich hab sie gesehen. Sie und all diese jungen Kerle, die heute an meiner statt vor der Kamera stehen. Und mich, mich hat man vergessen!« Er heulte vor Wut, kam aber rasch wieder zu sich. »Der Brunnen wird bewacht«, zischte er. »Und auch vor den Seelen, die im Sündenpfuhl gefangen sind, musst du dich hüten. Anders als ich sind sie nicht irrtümlich hier. Das sind echte Höllenpaktierer. Ihre Seelen sind der letzte Abschaum. Und jetzt sag mir endlich …«
Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn aus dem Nebel stürmten unter lautem Kreischen drei deformierte Gestalten auf ihn zu, deren Anblick Lukas vor Grausen zurückstolpern ließ. Eine von ihnen besaß nur ein Auge. Bei der zweiten blitzten dort, wo sich eigentlich ein Mund befinden sollte, kalte, lippenlose Zahnreihen. Und die dritte trug dort, wo einst ihre Brüste gewesen waren, blutige Stümpfe. Der Geschminkte fuhr herum, doch da rissen die drei ihn bereits zu Boden, und der Lippenlose holte zum Schlag aus. Der Einäugige stoppte
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