Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Gefäße – wir verwerten die Leichen inzwischen fast vollständig. All das gute Zeug, das wir früher bloß gefressen haben, machen wir heute zu Gold. Und stets fragen sich unsere Abnehmer, wie wir an Material in solcher Qualität herankommen.« Er lachte röhrend, und Lukas verengte die Augen. Für seinen Geschmack plapperte der Ghul zu viel.
»Wir hoffen nicht, dass du dein Kerngeschäft aus den Augen verloren hast«, sprach Millepertia, und Makhbar beäugte sie wie die Auslage in einer Metzgerei. »Sei ganz beruhigt«, hechelte er. »Was auch immer eure verdorbenen Herzen begehren, hier findet ihr es.« Er stampfte auf seinen Hufen hinüber zum Knochenthron und zwängte den massigen Leib auf die Sitzfläche. Plump vertraulich deutete er nach oben zur Galerie, wo weitere Knochenvitrinen aufgereiht waren. »Die guten Sachen sind natürlich etwas teurer. Fluchbeutel aus dem alten Byzanz, gnostische Gemmen aus Mesopotamien, verzauberte römische Kristallkugeln, Voodoo-Puppen samt Nadelbesteck aus Übersee, entweihte Hostien und vieles mehr.« Er beugte sich vor. »Jüngst sind sogar ein paar frisch gegossene Freikugeln hereingekommen. Samt Pulver und Muskete. Nur seid ihr deswegen sicher nicht hier.«
»Nein.« Abraham von Worms zückte das Kästchen, während die insgesamt acht Ghule der Wache einen lockeren Ring um ihn und Millepertia bildeten. »Man hat Euch unterrichtet, was ich mitgebracht habe?«
»Oh ja.« Lukas glaubte zu sehen, wie dem Ghul Geifer aufs Gewand tropfte. »Bitte, lass sehen.« Er streckte die Hand aus, und Abraham drückte die Schachtel einem der Ghulwächter in die Klauen, der sie in demütiger Haltung zum Thron trug.
Makhbar öffnete die Schachtel, und seine Augen weiteten sich.
Plötzlich vernahm Lukas hinter sich, im Gang zum Thronraum, leise Hufschritte. Die Geräusche waren kaum wahrnehmbar, aber sie klangen, als würden dort mehrere Ghule Aufstellung beziehen. Auch in der Düsternis jenseits des Portalbogens unter der Galerie waren schemenhafte Bewegungen auszumachen. Eine Falle? Lukas sah hinüber zu Abraham von Worms und Millepertia, die von alledem nichts mitbekamen.
»Und wer sagt mir«, röhrte Makhbar, »dass die Tonkrümel wirklich von Moses’ Gesetzestafeln stammen?«
»Habe ich dich je belogen?«, fragte der Zauberer.
»Ich werde das prüfen müssen.« Der Ghul winkte einen seiner Wächter heran, der das Kästchen nahm, beschnüffelte und dann herumreichte.
Lukas gefiel das alles nicht. Spielte Makhbar auf Zeit? Wenn er wenigstens noch den Donnerkeil besäße! Plötzlich, aus Not geboren, kam ihm eine Idee. Rasch sah er sich um und entdeckte in der Saalecke rechts von sich eine knöcherne Wendeltreppe, die hinauf zur Galerie führte. Unsichtbar, wie er war, huschte er so schnell wie möglich dorthin und die Stufen hinauf. Einige knarrten, doch die Ghule waren mit sich selbst beschäftigt. Oben angelangt, eilte er an den Vitrinen entlang. Offenbar lagerten hier tatsächlich die interessanten Sachen. Zaubergegenstände aus allen Epochen und Jahrhunderten. Bücher, alte Spielkarten, Knochenwürfel, Fluchtafeln mit Keilschriften, eine mumifizierte Hand mit eintätowierten astrologischen Symbolen, Kristallkugeln und sogar eine Spindel. Endlich fand er, was er suchte. Die Muskete! Die Jagdwaffe besaß zu seiner Überraschung gleich zwei Läufe und lehnte zusammen mit Stopfer, Zündkraut und Pulverhorn neben einem Kissen, auf dem ringförmig sieben Bleikugeln mit kleinen, eingeritzten Kreuzen drapiert waren. Waren das wirklich Freikugeln?
Er hatte sich lange genug in der Theaterszene herumgetrieben, um den
Freischütz
zu kennen, die berühmte Oper von Carl Maria von Weber. Dort suchte ein Jäger sein Jagd- und Liebesglück, indem er den Teufel um Beistand anflehte. Sieben verfluchte Freikugeln erhielt er zum Ausgleich; jede dieser Kugeln traf stets ins Ziel. Allein die siebte Kugel wurde angeblich von der Hand des Teufels gelenkt. Wenn das hier wirklich diese Freikugeln waren, sollte der kleine Nachteil leicht auszutricksen sein. Er würde einfach vermeiden, die siebte Kugel abzufeuern. Aber wie lud man so eine Muskete? Hektisch wühlte er unter dem Umhang sein Smartphone hervor und versuchte eine Internetverbindung aufzubauen, um die Frage so zu klären. Doch das Gerät hatte so tief unter der Erde keinen Empfang. Was jetzt?
Unten in der Thronhalle war wieder Abrahams Stimme zu hören. »Prüfung abgeschlossen?«, fragte er ungeduldig. »Dann können wir jetzt zum
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