Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Zauberer ihn auf, sich um das aufsehenerregendste Fundstück im Schuppen zu kümmern: ein fast fabrikneuer Horch 780 mit Baujahr 1932 . Lukas hatte seinen Augen kaum getraut. Die dunkel lackierte Luxuslimousine mit der langen Motorhaube und den Reserverädern über den vorderen Kotflügeln war ohne Zweifel der Traum eines jeden Autosammlers. Tatsächlich war der Tourenwagen seit seiner Anschaffung kaum mehr bewegt worden, was Lukas leicht am Kilometerstand hatte ablesen können. Doch der Tank war voll. Lukas musste lediglich etwas Öl nachfüllen und einige Kontakte reinigen, danach lief der Motor wieder wie geschmiert. Und er hatte die Zeit genutzt, um sich schlauzumachen, wie sich die erbeutete Jagdflinte mit den Freikugeln laden ließ, und sie schussbereit gemacht. Jetzt, während er durch die Nacht fuhr und die letzten Stunden Revue passieren ließ, wuchs in ihm der Ärger über seine Begleiter. Nicht ein Wort des Lobes hatten sie für ihn übrig gehabt. Dabei war klar, dass die beiden ohne seine Hilfe höchstwahrscheinlich in der Speisekammer der Ghule geendet wären. Teamarbeit stellte Lukas sich anders vor.
Irgendwann ließen sie Worms hinter sich, und Abraham und Millepertia vertrauten offenbar darauf, dass er ihr Ziel schon finden würde. Der Weg nach Baden-Baden war dabei nicht das Problem, sondern der Umstand, mit dem alten Autokennzeichen nicht aufzufallen. Viel zu spät war Lukas bewusst geworden, dass sie jede halbwegs aufmerksame Polizeistreife ohne richtige Straßenzulassung anhalten würde. Daher mied er die Autobahn und wählte Bundesstraßen und abseits liegende Feldwege. Doch auch dort erregten sie trotz vorgerückter Stunde ein gewisses Aufsehen. Irgendwann beschloss Lukas, die Fahrt mit dem Oldtimer zu genießen, statt sich weiter über etwaige Entdeckungen den Kopf zu zerbrechen. Seine Begleiter würden im Fall des Falles schon die rechten Mittel parat haben.
Sooft er konnte, trat er das Gaspedal voll durch und erreichte so eine Spitzengeschwindigkeit von hundertfünfundzwanzig Stundenkilometern. Ein hell erleuchteter Golf mit Jugendlichen kam ihnen auf der nächtlich verdunkelten Straße entgegen und rauschte anerkennend hupend an ihnen vorbei. Lukas grinste. Ghule, Geister und Dämonen. All das blieb allmählich hinter ihnen zurück; er überlegte sich stattdessen, wie es wohl wäre, den Wagen für eine Spritztour mit Freunden zu nutzen. Drei, vier Namen zuckten ihm durch den Kopf. Leute aus seiner Uni-Zeit. Auch Straßenkünstler. Aber schnell wurde ihm klar, dass es keinen gab, den er in der Vergangenheit nicht vor den Kopf gestoßen hatte. Er besaß keine Freunde. Selbst seine Mutter würde ihn angesichts eines solchen Automobils vermutlich bloß misstrauisch fragen, ob er schon wieder in Schwierigkeiten steckte.
Lukas’ Lächeln verblasste. Schließlich blickte er in den Rückspiegel und betrachtete eine Weile Millepertias schlafendes Gesicht. Sie lehnte schräg gegen die Rückbank, und ihre gelbblonden Haare umrahmten sie auf eine Weise, die ihn unwillkürlich an einen dieser Rauscheengel erinnerte, wie sie für ein paar Euro auf jedem Weihnachtsmarkt zu erstehen waren. Warum nur lehnte sie ihn so ab?
Sie
war doch die Teufelspaktiererin. Dagegen war er ein Unschuldslamm. Und er hatte ihr verdammt noch mal nichts getan. Im Gegenteil.
Lukas betrachtete sie weiter und versuchte, sich Millepertia als Mutter vorzustellen. Wie hatte ihre verstorbene Tochter noch geheißen? Sophie. Ob die Kleine ihr ähnlich gesehen hatte? Konnte sich denn Millepertia nach all den langen Jahren überhaupt noch an die Kleine erinnern? Sie war schließlich schon einige hundert Jahre alt und inzwischen nicht mehr sie selbst, sondern ein Geschöpf zweier Welten. Millepertia war seltsam. Und auch faszinierend. Lukas seufzte.
»Braucht Ihr eine Pause?«, tönte es vom Beifahrersitz. Der Zauberer war aus seiner Meditation erwacht und strich sich den langen Bart glatt.
»Nein, geht schon. Wir müssten die Stadt eigentlich bald erreichen«, antwortete Lukas und sah auf die Leuchtziffern seiner Uhr. Sie standen auf 22 . 16 Uhr. »Nur müsste ich irgendwann mal tanken. Sie verfügen nicht zufällig über Barmittel?«
»Barmittel? Ihr meint Geld.« Abraham warf ihm einen raschen Seitenblick zu. »Nein, tut mir leid. Daran habe ich bei unserer Flucht aus dem Turm nicht gedacht. Und in meinem kleinen Speicher vorhin verwahre ich vornehmlich geomantische Utensilien.«
Lukas seufzte und war jetzt erst recht froh,
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