Schwarzer Engel
ihre Mutter ziemlich anständig zu sein scheint… trotzdem würde ich die
›Rote Feder‹ nicht als Ort für die Geburtstagsparty meiner Tochter auswählen.«
Immer noch musterte er mich von oben bis unten, bis mir unter den Achseln der Schweiß ausbrach. »Enttäusche mich nicht, Heaven«, meinte er, indem er sich wieder seinen Zeitungen widmete. »Ich habe von der ›Roten Feder‹ und den Parties gehört. Mit fünfzehn bist du noch zu jung, um mit dem Bier- oder Weintrinken anzufangen oder irgendeine andere Beschäftigung der Erwachsenen nachzuäffen, die mit scheinbar harmlosen Spielchen anfangen. Tut mir leid, aber ich halte es für keine gute Idee, wenn du gehst.«
Mein Herz schlug wie wild.
Die »Rote Feder« lag in der Nähe der Boston University, wo Logan zur Schule ging.
»Außerdem«, fuhr Tony mit der Ermahnung fort, »habe ich Miles Anweisungen gegeben, dich bis Montag morgen nicht aus dem Grundstück zu fahren. Die Diener werden sich um deine Bedürfnisse kümmern, und wenn’s dir drinnen zu langweilig wird, kannst du immer noch ins Freie gehen.«
In dem Moment sah Jillian auf, als ob sie nichts außer das Stichwort »ins Freie« gehört hätte.
»Geh ja nicht zu den Ställen!« kreischte Jillian. »Ich möchte diejenige sein, die dich meinen Pferden vorstellt – meinen wunderbaren, schönen Arabern. Wir machen das, wenn wir zurückkommen.«
Schon seit Tagen hatte sie es versprochen. Ich glaubte ihr nicht mehr.
Ich hatte meinen Plan, zu fliehen und Logan zu finden, entworfen und war gescheitert. Sobald sie ihre Party feierten und den Film gezeigt hätten, würden sie mich nicht vermissen, niemals.
Irgendwie überstand ich den Abend ohne einen gravierenden Fehler, der meinen Hintergrund verraten hätte. Es bewies mir nur meine Unerfahrenheit in gesellschaftlichen Dingen. Ich wußte keine Antwort auf Fragen nach meinen politischen Ansichten. Ich hatte keine Meinung zum Stand der nationalen Wirtschaft. Keinen der neuesten Hollywood-Bestseller, die alles verrieten, hatte ich gelesen und war auch in keinem der aktuellen Filme gewesen. Statt zu antworten, lächelte ich und suchte Vorwände, mich davonzustehlen – meiner Ansicht nach hatte ich mich zum kompletten Trottel gestempelt.
»Du warst prima«, meinte Tony, als er in mein Schlafzimmer kam, während ich mir die Haare bürstete. »Jeder ließ sich über deine große Ähnlichkeit mit Jillian aus. Das ist nicht verwunderlich, ihre beiden Schwestern sind ältere Ausgaben von Jillian, obwohl sie sozusagen nicht so ›gut präpariert‹
sind.« Er wurde wieder ernsthaft. »Jetzt erzähle mir, was du von unseren Freunden hältst.«
»Wenn sie auf Fiedeln und Banjos gespielt, mit den Füßen gestampft und alle billige Kleidung getragen hätten, hätten sie aus den Willies sein können«, antwortete ich ernsthaft. »Nur das, worüber sie reden, unterscheidet sie. Niemand zu Hause kümmert sich um Politik oder die nationale Wirtschaft.
Wenige Leute lesen etwas anderes als die Bibel oder Liebesromane.«
Zum ersten Mal seit ich ihn kannte, lachte er ehrlich amüsiert, und als er mich ziemlich zustimmend anlächelte, hob ich innerlich ab.
»Du warst also nicht von toller Kleidung und teuren Zigarren beeindruckt – das ist gut. Du hast deine eigenen Ansichten, auch das ist gut. Und du liegst ziemlich richtig. Auf jeden erfolgreichen Kerl kommt einer, der mehr als nur ein paar Fehler hat.«
Während ich auf dem Stuhl in meinem Ankleidezimmer saß und mir erneut wünschte, Pa wäre so ein Mann gewesen, redete er in ernstem Ton: »Vor ein paar Minuten habe ich den Wetterbericht gehört, der die ersten schweren Schneefälle bei uns vorhersagt. Wahrscheinlich starten wir sehr früh am Samstag, bevor der Schneesturm hier ist. Paß gut auf dich auf, Heaven, während wir fort sind.«
Seine Fürsorge gab mir ein gutes Gefühl. Pa hatte nie so etwas zu mir gesagt – als ob es ihm egal gewesen wäre, was passierte. »Ich wünsche dir und Jillian eine gute Reise«, erwiderte ich mit rauher, schmerzender Kehle.
»Danke.« Wieder lächelte er und kam dann nahe genug, um mich auf die Stirn zu küssen. Einen Moment lang ruhte seine Hand auf meiner Schulter. »Du siehst so lieb und unverbraucht aus, wie du da in deinem hellblauen Nachthemd dasitzt. Laß dich von nichts und niemandem verderben.«
Am frühen Morgen hörte ich die Limousine mit Tony und Jillian fortfahren. Ich versuchte, wieder zu schlafen, war aber um sechs Uhr noch immer wach und wartete,
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