Schwarzer Mittwoch
aufzubewahren.«
»Ja, vor allem, wenn man bedenkt, dass Ruth Lennox eine Spirale hatte.«
Karlssons Handy klingelte. Er zog es heraus und runzelte die Stirn, als er sah, wer anrief. Sadie hatte ihm bereits zwei Textnachrichten und eine Sprachnachricht hinterlassen, jedes Mal mit der Bitte, sich doch zu melden. Er war versucht, wieder die Mailbox rangehen zu lassen, zögerte jedoch: Sadie hatte offenbar nicht vor aufzugeben, also konnte er es auch genauso gut hinter sich bringen.
»Sadie.«
»Malcolm.« Ansonsten sagte sie nichts, sondern überließ es ihm, den Anfang zu machen.
»Es tut mir leid, dass ich dich nicht zurückgerufen habe. Ich war so beschäftigt und …«
»Nein. Du hast mich nicht zurückgerufen, weil du mich nicht wiedersehen willst und dir gedacht hast, wenn du meine Anrufe ignorierst, gebe ich schon irgendwann auf.«
»Das ist nicht fair.«
»Nein? Ich glaube schon.«
»Ich habe einen Fehler gemacht, Sadie. Ich mag dich sehr gern, und wir hatten einen schönen Abend, aber der Zeitpunkt stimmt für mich einfach nicht.«
»Ich rufe nicht an, weil ich wieder mit dir ausgehen möchte, falls du das befürchtest. Ich habe schon verstanden, warum du dich nicht gemeldet hast. Trotzdem wirst du dich mit mir treffen müssen.«
»Das halte ich für keine gute Idee.«
»Aber ich. Ich will, dass du dich mir gegenüber hinsetzt, mir in die Augen schaust und erklärst, warum du dich so verhalten hast.«
»Hör zu, Sadie …«
»Nein. Hör du erst mal mir zu! Du hast dich benommen wie ein dummer Teenager. Du hast mich auf ein Glas Wein eingeladen, wir haben einen schönen Abend miteinander verbracht, und dann haben wir uns geliebt – zumindest hat es sich für mich so angefühlt. Danach bist du davongeschlichen, als wäre dir das Ganze nur peinlich. Das habe ich nicht verdient.«
»Es tut mir leid.«
»Ich will eine Erklärung. Wir treffen uns morgen Abend um acht im selben Weinlokal. Es dauert nur eine halbe Stunde, wenn überhaupt. Dann wirst du mir erzählen, warum du dich so benommen hast, und danach kannst du nach Hause gehen, und ich rufe dich nie wieder an.«
Damit beendete sie das Gespräch. Karlsson blickte auf das Telefon in seiner Hand und hob die Augenbrauen. Ganz schön beeindruckend, diese Sadie.
34
F rieda fühlte sich immer ein wenig seltsam, wenn sie auf die Südseite des Flusses wechselte, aber nach Croydon zu fahren erschien ihr fast wie eine Reise ins Ausland. Sie hatte auf der Karte nachsehen müssen, wo genau dieser Stadtteil überhaupt lag und wie sie am besten hinkam: Erst einmal musste sie zum Bahnhof Victoria und dann von dort erneut den Zug nehmen.
Der Zug war voll besetzt mit Pendlern eingetroffen, fuhr aber fast leer wieder los. London, dieser riesige Moloch, saugte die Menschen in sich hinein. Erst am späten Nachmittag würde er sie wieder ausspucken. Als der Zug den Fluss überquerte, erspähte Frieda Battersea, das stillgelegte Kohlekraftwerk. Sie sah sogar, wo die Wohnung von Agnes Flint liegen musste, ganz in der Nähe des großen Marktes. Nach Clapham Junction und Wandsworth Common wurde die Gegend für Frieda allmählich unbekannt und namenlos, eine Abfolge rasch vorbeiziehender Bilder: Parks, ein Friedhof, die Rückseiten von Häuserreihen, ein Einkaufszentrum, der Lagerplatz eines Autoverwerters, eine Person beim Wäscheaufhängen, ein Kind auf einem blauen Trampolin. Wie gebannt starrte sie aus dem Fenster. Vor den Zügen verbargen die Häuser weniger als vor den Autos. Vom Zug aus sah man nicht die schönen Fassaden, sondern die Bereiche dahinter, um die sich keiner kümmerte, weil man davon ausging, dass sie sowieso niemand richtig registrierte: die kaputten Zäune, die Müllhaufen, die alten, ausgedienten Maschinen und Gerätschaften.
Als Frieda ausstieg, musste sie die Straßenkarte zurate ziehen, und selbst das erwies sich als schwierig. Immer wieder drehte sie die Karte, weil sie nicht sicher war, auf welcher Seite sie den Bahnhof verlassen hatte. Am Ende schlug sie trotzdem die verkehrte Richtung ein und war gezwungen, erneut einen Blick auf die Karte zu werfen. Sie versuchte sich zu orientieren, indem sie nach der Stelle Ausschau hielt, wo Peel Way und Clarence Avenue aufeinandertrafen. Sie musste zurück zum Bahnhof und dann durch eine Reihe von Wohnstraßen, bis sie schließlich Ledbury Close erreichte. Die Nummer acht war ein freistehendes Haus mit Rauputz, das sich kaum von den Nachbarhäusern unterschied – abgesehen davon, dass es
Weitere Kostenlose Bücher