Schwarzer Mond: Roman
Krachen und jedem Zucken des Lichts stürmten ihre unterdrückten Erinnerungen stärker gegen die Blockade an.
Ihre Angst wurde übermächtig; eine riesige schwarze Welle des Schreckens brach über sie herein. Die Asrael-Blockierung tat wieder einmal ihre Wirkung: anstatt sich zu erinnern, würde sie eine Fugue erleiden, was ihr seit dem Tag von Pablos Ermordung vor nunmehr einer Woche nicht mehr passiert war. Sie spürte die drohenden Symptome eines Blackouts: Sie hatte Mühe beim Atmen, sie zitterte wie Espenlaub, die Welt um sie herum begann zu verblassen, an den Rändern ihres Gesichtsfeldes wurde es bereits dunkel.
Davonrennen oder sterben.
Ginger wandte den phänomenalen Vorgängen im Büro den Rücken zu. Sie packte mit beiden Händen den Türrahmen, so als könnte sie sich dadurch an ihr Bewusstsein klammern und die schwarze Welle, die sie wegzuschwemmen drohte, besiegen.
Verzweifelt blickte sie durch die Glastür auf die weite Landschaft von Nevada hinaus, auf den düsteren Winterhimmel; sie versuchte, das unerklärliche Licht und das genauso unerklärliche Donnern zu ignorieren, die sie in den Anfall trieben. Die wilde Panik wurde so unerträglich, dass sie sich fast nach dem Versinken in einer Fugue sehnte, aber sie hielt sich am Türrahmen fest, zitternd und keuchend hielt sie sich daran fest. Es waren nicht so sehr die gegenwärtigen seltsamen Vorgänge, die sie ängstigten, als vielmehr die vergessenen Ereignisse jenes Sommers, von denen die jetzigen Phänomene nur ein schwacher Abglanz waren. Sie hielt sich fest, ließ nicht los ... bis der Dreischlag-Donner leiser wurde, bis das rote Licht verblasste, bis schließlich Stille eintrat und nur noch die normale Helligkeit der Lampen und des einfallenden Tageslichts zu sehen war.
Ginger wusste, dass sie jetzt kein Blackout mehr haben würde.
Zum erstenmal war es ihr gelungen, einen Anfall abzuwehren. Vielleicht hatten die Erfahrungen der letzten Monate sie gestärkt. Vielleicht hatte es ihr geholfen, hier zu sein, in unmittelbarer Reichweite aller Antworten auf das Geheimnis. Oder aber ihre neue >Familie< hatte ihr Kraft geschenkt.
Aber aus welchem Grund auch immer es ihr diesmal gelungen sein mochte, eine Fugue zu vermeiden -sie war jetzt zuversichtlich, dass sie auch künftige Anfälle besser würde bewältigen können. Ihre Erinnerungsblockaden bröckelten ab. Und ihre Angst, sich den Ereignissen jenes 6. Juli stellen zu müssen, wurde jetzt bei weitem von der Angst übertroffen, niemals die Wahrheit zu erfahren.
Mit weichen Knien wandte sich Ginger wieder den anderen zu.
Brendan Cronin taumelte auf das Sofa zu und ließ sich zitternd darauf fallen. Die Ringe auf seinen - und ebenso auch auf Doms Händen waren verschwunden.
»Habe ich Sie richtig verstanden?« fragte Ernie den Priester. »Das gleiche Licht erfüllt manchmal Ihr Zimmer?«
»Ja«, erwiderte Brendan. »Es war bisher zweimal der Fall.«
»Aber Sie sagten uns doch, es sei ein herrliches Licht«, wandte Faye ein.
»Ja«, bekräftigte Ned, »als Sie davon erzählten, hörte es sich wundervoll an.«
»Das ist es auch«, sagte Brendan. »Teilweise ist es wundervoll. Aber wenn es rot wird ... dann habe ich irrsinnige Angst. Aber anfangs ... oh, es erfüllt mich mit unerklärlicher Freude, mit stillem Jubel.«
Das ominöse blutrote Licht und das dreiteilige Pochen hatten Ginger derart in Panik versetzt, dass sie den vorangegangenen herrlichen mondweißen Glanz fast vergessen hatte.
Während Dom sich die Hände am Hemd abwischte, so als hätten die inzwischen verschwundenen Ringe irgendwelche unsichtbaren Spuren darauf hinterlassen, sagte er: »Die Ereignisse jenes Abends hatten sowohl einen guten als auch einen bösen Aspekt. Wir sehnen uns nach einem Teil dessen, was uns widerfahren ist, aber gleichzeitig ... gleichzeitig ...«
»... machen wir uns vor Angst fast in die Hose«, vollendete Ernie den Satz.
Ginger bemerkte, dass selbst Sandy Sarver -für die das mysteriöse Geschehen ausschließlich segensreich gewesen war die Stirn runzelte.
Als Jorja Monatella am Montagmorgen um elf der Beerdigung ihres geschiedenen Ehemanns Alan Rykoff beiwohnte, zogen am blauen Himmel über Las Vegas einzelne stahlgraue Wolken auf. Hunderte goldener Sonnenstrahlen, breiter und schmaler, tauchten -kosmischen Scheinwerfern gleich - manche Gebäude in helles Licht, während andere im Schatten blieben.
Zahlreiche Sonnenstrahlen huschten, von rasch dahinziehenden Wolken gestört, über den
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