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Schwarzer Mond: Roman

Schwarzer Mond: Roman

Titel: Schwarzer Mond: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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ganze Strecke mit überhöhter Geschwindigkeit. Eine knappe halbe Stunde später erreichte er einen Block gleichförmiger, schäbiger fünfstöckiger Ziegelhäuser in der Oberstadt. Er musste bis zur nächsten Ecke fahren, um einen Parkplatz zu finden, denn vor der von Winton angegebenen Adresse war alles mit Polizeiwagen vollgestellt, und die kalte Luft hallte von den metallischen Klängen der Funkgeräte wider. Zwei Polizeibeamte bewachten die Fahrzeuge, um Vandalismus zu verhindern. Auf Stefans Frage hin erklärten sie ihm, der Einsatz sei im zweiten Stock, in 2B, der Wohnung der Mendozas.
    Die Haustür aus Glas war in einer Ecke gesprungen und offenbar schon vor langer Zeit mit Isolierband notdürftig ausgebessert worden. Im düsteren Flur blätterte die Farbe von den Wänden ab, und die Fußbodenfliesen -soweit noch vorhanden - starrten vor Schmutz.
    Auf der Treppe spielten zwei hübsche Kinder mit einer schäbigen Puppe und einem Schuhkarton >Beerdigung<.
    Als Vater Wycazik durch die offenstehende Tür die Wohnung der Mendozas im zweiten Stock betrat, sah er ein beiges Sofa, das mit Blut regelrecht durchtränkt war, so dass die Polster stellenweise fast schwarz waren. Hunderte von Blutstropfen sprenkelten die hellgraue Wand hinter dem Sofa - offenbar war jemand vor dieser Wand erschossen worden. Im Verputz waren vier Kugellöcher zu sehen. Auch ein Lampenschirm, der kleine Tisch, das Bücherregal und der Teppich waren mit Blut bespritzt.
    Der ohnehin schon grausige Anblick wurde noch dadurch verschlimmert, dass das Zimmer ansonsten sehr sauber und ordentlich war; das blutige Chaos bildete deshalb einen besonders krassen Gegensatz. Die Mendozas konnten sich zwar nur eine Wohnung in diesem Slumviertel leisten, aber wie viele arme Leute, so taten auch sie offensichtlich ihr möglichstes, um das Vorurteil zu entkräften, dass Armut mit Verkommenheit gleichzusetzen sei. Ihre Wohnung war sozusagen eine Festung gegen den allgegenwärtigen Schmutz in den Elendsvierteln; hinter ihrer Tür begann ein Hort der Sauberkeit und Ordnung.
    Stefan nahm seinen Hut ab und machte einige Schritte ins Wohnzimmer hinein, an das sich eine Essnische anschloss, die durch eine Anrichte von einer kleinen Küche abgetrennt war.
    Überall standen Polizeibeamte -in Uniform und Zivil -und Labortechniker herum; insgesamt mindestens ein Dutzend. Ihr Benehmen verwirrte Stefan. Die Laborleute hatten ihre Arbeit offenbar schon beendet, und auch die anderen hatte nichts zu tun, aber niemand schien aufbrechen zu wollen. Sie unterhielten sich in kleinen Grüppchen mit gedämpfter Stimme - so als wären sie auf einer Beerdigung oder in der Kirche.
    Nur ein Polizeibeamter war beschäftigt. Er saß am Esstisch, stellte einer etwa vierzigjährigen Lateinamerikanerin -er redete sie mit Mrs. Mendoza an -Fragen und trug ihre Antworten in amtlich aussehende Formulare ein. Die Frau, die ein Madonnengesicht hatte, beantwortete zwar seine Fragen, war aber sichtlich zerstreut. Ihre Blicke schweiften immer wieder zu einem Mann in ihrem Alter -vermutlich ihrem Ehemann -, der mit einem Kind auf den Armen auf und ab lief - einem hübschen etwa sechsjährigen Jungen. Mr. Mendoza hielt das Kind fest an sich gedrückt, redete mit ihm, strich ihm über das dichte Haar. Dieser Mann hätte offensichtlich seinen Sohn bei den Gewalttaten in seiner Wohnung um ein Haar verloren und musste ihn jetzt immer wieder berühren, um sich davon zu überzeugen, dass er noch am Leben war.
    Einer der uniformierten Polizisten entdeckte Stefan und fragte: »Vater Wycazik?«
    Bei der Erwähnung von Stefans Namen verstummten alle Anwesenden. Stefan konnte sich nicht erinnern, jemals in seinem Leben so erwartungsvolle Gesichter gesehen zu haben wie die dieser Menschen, die in der kleinen Wohnung der Mendozas herumstanden: Sie schienen zu glauben, dass er ihnen mit einem einzigen Satz alle Rätsel der menschlichen Existenz und den Sinn des Lebens erklären konnte.
    Was in aller Welt geht hier nur vor? fragte sich Stefan mit leichtem Unbehagen.
    »Hier entlang, Vater«, sagte der uniformierte Polizist.
    Stefan zog seine Handschuhe aus, während er dem Mann folgte. Alle machten ihm ehrerbietig Platz, immer noch in tiefem Schweigen. In einem blitzsauberen Schlafzimmer saßen Winton Tolk und ein zweiter Polizist auf der Bettkante.
    »Vater Wycazik«, meldete Stefans Führer, bevor er sich ins Wohnzimmer zurückzog.
    Tolk saß vornübergebeugt da, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in

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