Schwarzer Mond: Roman
war.
»Beeil dich!« sagte Sandy ängstlich zu Ned.
Ernie wusste, was in ihr vorging. Jemand, der unterwegs nach Thunder Hill war oder gerade von dort kam, könnte plötzlich auf der Straße auftauchen und sie entdecken.
Ned gab Gas, überquerte rasch die leere Straße und fuhr auf der anderen Seite weiter querfeldein über Rinnen und Furchen, so dass Brendan und Jorja, zwischen denen Ernie saß, wiederholt gegen ihn geschleudert wurden. Der Schnee, der wie dichter Aschenregen von einem kalt brennenden Himmel fiel, hüllte sie erneut ein und schützte sie davor, entdeckt zu werden. Zehn Kilometer östlich von hier verlief eine weitere Nord-Süd-Verbindung - die Vista Valley Road; sie war ihr nächstes Ziel.
Von dort würden sie in südlicher Richtung zu einer dritten Landstraße weiterfahren, die parallel zur I-80 nach Elko führte.
Ernie bemerkte plötzlich, dass die Dämmerung von der Schattenarmee der Nacht in die Flucht geschlagen wurde. Die Dunkelheit stand sozusagen vor der Tür, nicht in räumlichem, sondern in zeitlichem Sinne, nur noch wenige Minuten entfernt. Er sah, wie sie ihn aus Billionen von Gucklöchern zwischen Billionen umherwirbelnder Schneeflocken anstarrte und mit jedem Wimpernschlag näher kam. Gleich würde sie die Schneevorhänge durchbrechen und ihn packen ...
Nein! Es gab zuviel wirklich furchterregende Dinge, als dass er seine Kräfte auf eine unsinnige Phobie verschwenden durfte.
Obwohl sie einen Kompass hatten, konnten sie sich in diesem Sturm bei Dunkelheit leicht verirren. Bei einer Sichtweite von wenigen Metern konnten sie in eine Felsenschlucht stürzen.
Blindlings ins Verderben zu fahren war eine so große Gefahr, dass Ned nur wenig schneller als im Schritttempo zu fahren wagte.
Ich fürchte mich nur vor dem, was wirklich fürchtenswert ist, versuchte Ernie sich selbst einzureden. Ich habe keine Angst vor dir, Dunkelheit!
Faye warf ihm über die Schulter hinweg einen besorgten Blick zu. Er lächelte und machte mit Daumen und Zeigefinger ein Okay-Zeichen, und seine Hand zitterte dabei nur ganz leicht.
Faye wollte sein Zeichen gerade erwidern, als die kleine Marcie zu schreien anfing.
In seinem Büro am >Nabel< tief im Innern von Thunder Hill, saß Dr. Miles Bennell grübelnd im Dunkeln. Nur durch die beiden Fenster, die auf die zentrale Kaverne dieser Etage hinausgingen, fiel schwaches Licht ein.
Auf dem Schreibtisch vor ihm lagen sechs Blatt Papier. Er hatte sie in den vergangenen fünfzehn Monaten zwanzig oder dreißigmal gelesen und kannte den Text fast auswendig. Es handelte sich um einen Ausdruck von Leland Falkirks psychologischer Beurteilung, die Bennell aus den computergespeicherten Personalakten über die DERO-Eliteeinheit gestohlen hatte. Miles Bennell - Doktor der Biologie und Chemie, Hobbyphysiker und Hobbyanthropologe, ein guter Gitarre- und Klavierspieler, Autor so verschiedenartiger Bücher wie einer Abhandlung über Neurohistologie und einer kritischen Studie der Werke von John D. MacDonald, Weinkenner und Liebhaber von Filmen mit Clint Eastwood, kurz gesagt, eine Art Renaissance-Mensch des ausgehenden 20. Jahrhunderts - kannte sich auch mit Computern bestens aus. Schon als Collegestudent hatte er sich mit der elektronischen Datenverarbeitung beschäftigt. Vor anderthalb Jahren, als er seine Arbeit in Thunder Hill aufgenommen hatte und zu häufigen Kontakten mit Leland Falkirk gezwungen gewesen war, hatte Miles Bennell erkannt, dass der Colonel eine psychisch gestörte Persönlichkeit war, die sogar als einfacher Soldat für militärisch untauglich erklärt worden wäre, wenn er offenbar nicht einer jener seltenen Paranoiker gewesen wäre, die es lernen, ihre spezifischen Geis teskrankheiten gezielt einzusetzen, um sich in einen reibungslos funktionierenden Roboter zu verwandeln, der sich den Anschein der Normalität zu geben vermag. Miles hatte Näheres wissen wollen. Was erhielt Falkirk funktionsfähig? Unter welchen Umständen könnte bei ihm eine Sicherung durchbrennen? Die Antworten auf diese Fragen ließen sich nur im DERO-Hauptquartier finden. Deshalb hatte Miles vor sechzehn Monaten damit begonnen, sich mit Hilfe seiner eigenen Datenanlage samt Modem Einblick in die DERO-Akten in Washington zu verschaffen.
Als Miles die psychologische Beurteilung Falkirks zum erstenmal gelesen hatte, war er erschrocken; allerdings hatte er seine Arbeit auf keinen Fall aufgeben wollen, obwohl sie eine gewisse Kooperation mit diesem gefährlichen und potentiell
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