Schwarzer Mond: Roman
Boden eingelassene ringförmige Bolzen deuteten darauf hin, dass hier früher Fahrzeuge deponiert oder gewartet worden waren. Rechts vom Eingang zog sich etwa ein Dutzend wohnwagenartiger Gebäude mit kleinen Fenstern und Metalltüren an der Wand entlang. Sie hatten früher vermutlich als Unterkünfte oder Büros gedient, waren aber in Forschungslabors umfunktioniert worden. An manchen Türen waren von Hand geschriebene Schilder angebracht: Chemisches Labor, Chemische Bibliothek, Pathologie, Biologisches Labor, Biologische Bibliothek, Physik 1, Physik 2, Anthropologie und andere, die Ginger nicht entziffern konnte, weil sie zu weit entfernt waren.
Vor den Gebäuden standen Arbeitstische und große Apparaturen -ein Röntgenapparat, ein großer Schall-Spektrograph, wie er auch im Memorial Hospital verwendet wurde, und viele andere Vorrichtungen, die Ginger nichts sagten. Es sah fast so aus, als veranstalte hier jemand einen Flohmarkt für High-Tech-Laborgeräte. Offenbar reichten die Räumlichkeiten für die verschiedenartigen Untersuchungen nicht aus, was in Anbetracht des Forschungsobjekts auch kein Wunder war.
Das Schiff aus einer anderen, fernen Welt stand links vom Eingang. Es sah genauso aus wie in Gingers Erinnerung vor wenigen Minuten, als ihre Gedächtnisblockierung endlich zusammengebrochen war: ein Zylinder von fünfzehn bis achtzehn Meter Länge und fünf Meter Durchmesser, an beiden Ecken abgerundet. Um es besser untersuchen zu können, hatte man es auf anderthalb Meter hohe Stahlböcke gelegt, wie ein Unterseeboot in einem Trockendock. Das einzige, worin sein Aussehen sich jetzt von jenem Abend des 6. Juli unterschied, war das Fehlen jenes gespenstischen Lichtes, das von Mondweiß zu Scharlachrot und dann zu Bernsteingelb gewechselt hatte.
Das Raumschiff besaß kein sichtbares Antriebssystem, keine Raketen. Der Rumpf war so schmucklos, wie sie ihn in Erinnerung gehabt hatte: hier eine drei Meter lange Reihe flacher faustgroßer Vertiefungen im Metall, die keinem erkennbaren Zweck dienten; dort vier vorstehende Halbkugeln von Melonengröße, ebenfalls ohne ersichtliche Funktion; hier und dort ein halbes Dutzend Erhebungen, einige so groß wie ein Mülleimerdeckel, einige nicht größer als der Durchmesser eines Mayonnaiseglases, keine höher als acht Zentimeter. Ansonsten waren über 98% der langen Oberfläche völlig glatt, abgesehen von gewissen Abnutzungserscheinungen.
Aber trotz des unauffälligen Äußeren war es bei weitem das Spektakulärste, was Ginger jemals gesehen hatte. Sie verspürte eine gewisse Furcht vor dem Unbekannten, aber zugleich auch grenzenlose Freude und Glück.
Zwei Männer saßen an einem Tisch neben einer transportablen Treppe, die zu einer offenen Luke an der Flanke des Raumschiffes führte. Der imposantere der beiden war ein schlanker Mann in den Vierzigern mit lockigem schwarzem Haar und Bart, in dunkler Hose, dunklem Hemd und weißem Laborkittel.
Der andere trug eine Militäruniform, deren Jacke nicht zugeknöpft war; er war ziemlich dick und etwa zehn Jahre älter als sein bärtiger Gefährte. Als die Männer ihre drei Besucher sahen, verstummten sie und standen auf, riefen aber nicht nach Wachen und lösten auch keinen Alarm aus. Sie musterten Dom, Jack und Ginger nur aufmerksam und verfolgten interessiert ihre ersten Reaktionen beim Anblick des Raumschiffs.
Sie haben uns erwartet, dachte Ginger.
Diese Erkenntnis hätte sie eigentlich beunruhigen müssen, aber im Augenblick galt ihr ganzes Interesse einzig und allein dem Raumschiff.
Mit Dom an ihrer rechten und Jack an ihrer linken Seite ging sie schweigend auf das näher zur Tür befindliche Ende des zylindrischen Flugkörpers zu.
Ihr schon seit Betreten der Kaverne lautes Herzklopfen steigerte sich zu hektischem Trommeln. Eine Armlänge vom Raumschiff entfernt, blieben alle drei stehen und betrachteten es mit ehrfürchtigem Staunen, so als seien sie Zeugen eines Wunders.
Schwarmartige Zufallsmuster feinkörniger Abschürfung überzogen die gesamte Oberfläche, so als habe es Wolken kosmischen Staubes oder Partikeln eines dem Menschen noch unbekannten Ursprungs standhalten müssen. Kerben und Beulen zeugten davon, dass es weitaus feindlicheren Elementen ausgesetzt gewesen war als den Winden und Stürmen, die den Schiffen und Flugkörpern auf irdischen Meeren und Himmeln zusetzten. Und es war mit grauen, schwarzen, gelben und braunen Flecken gesprenkelt, so als sei es in hundert verschiedene Säuren getaucht
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