Schwarzer Mond: Roman
noch die ganze Gruppe liquidieren konnte.
Er überließ es Horner, den Gefangenen zu folgen, während er selbst zu den Aufzügen zurückeilte. Er würde dem armen Tom nun auch nicht mehr vertrauen können, nachdem dieser allein mit Leuten zurückgeblieben war, die vermutlich verseucht waren.
Die Maschinenpistole schussbereit in der Hand, fuhr Leland mit einem kleineren Lift ins zweite Untergeschoss hinab. Er beabsichtigte, jeden umzubringen, der versuchen sollte, sich ihm in den Weg zu stellen. Und falls ihn eine erdrückende Übermacht angreifen sollte, würde er die Waffe gegen sich selbst richten. Auf gar keinen Fall würde er sich verwandeln lassen. Seine ganze Kindheit und Jugend hindurch hatten seine Eltern versucht, ihn in einen der ihrigen zu verwandeln: in einen bigotten Schwätzer, der in Kirchen und Zelten herumwinselte und -kreischte. Er hatte dieser Verwandlung, die seine Eltern ihm mit allen Mitteln aufzwingen wollten, widerstanden, und er würde sich auch jetzt nicht verwandeln lassen. Sie waren sein ganzes Leben lang hinter ihm her gewesen, in verschiedenen Gestalten, und sie würden ihn auch jetzt nicht schnappen, nachdem er es bisher immer geschafft hatte, seine Identität und Menschenwürde zu bewahren.
Im untersten Geschoss wurden ausschließlich Nahrungsmittelvorräte, Munition und Sprengstoffe gelagert. Das gesamte Personal wohnte ein Stockwerk höher, und die meisten hatten dort auch ihre Arbeitsstätten. Aber normalerweise taten im zweiten Untergeschoss rund um die Uhr einige Arbeiter und Wachposten Dienst.
Als Leland jedoch aus dem Aufzug in die zentrale Kaverne trat, von der andere Höhlen ausgingen -die Anordnung der Räumlichkeiten glich der im ersten Untergeschoss -, stellte er befriedigt fest, dass weit und breit kein Mensch zu sehen war. General Alvarado hatte offenbar seine Anweisungen befolgt und alle Leute in ihre Quartiere geschickt.
Vermutlich glaubte Alvarado, durch seine Kooperation Leland davon überzeugen zu können, dass er und seine ganze Mannschaft noch ganz eindeutig Menschen wären. Aber Leland war nicht so naiv, auf eine solch plumpe List hereinzufallen. Auch seine eigenen Eltern hatten sich bisweilen wie normale Menschen benommen -gelächelt, Süßholz geraspelt, ihre Zuneigung und Liebe beteuert -, und immer, wenn er nahe daran gewesen war zu glauben, dass sie wirklich nur sein Bestes wollten und ihn liebten, hatten sie ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie hatten den Lederriemen oder den Tischtennisschläger, in den sein Vater Löcher gebohrt hatte, hervorgeholt und ihn im Namen Gottes hart gezüchtigt.
Leland Falkirk konnte durch eine Maskerade von Menschlichkeit nicht so leicht getäuscht werden, denn er hatte schon in frühem Alter gelernt, dass unter einer Oberfläche von Normalität oft etwas Unmenschliches lauerte.
Während er durch die Hauptkaverne auf die massive, bombenfeste Stahltür zuging, hinter der sich die Munitionslager befanden, blickte Leland nervös nach rechts und links und in die Dunkelheit zwischen den Lampen empor. Als Kind war er zur Strafe oft lange in einen fensterlosen Kohlenkeller eingesperrt worden.
Leland legte seine linke Hand an die Glasscheibe neben der Tür, die sofort zur Seite glitt. Die Lampen schalteten sich automatisch ein und erhellten einen Raum, wo auf sechs Meter hohen, in den Wänden verankerten Regalen sowie in aufeinander gestapelten Kisten und Truhen Munition, Granatwerfer, Minen und andere Vernichtungswaffen aufbewahrt wurden.
Am Ende der langen Kaverne befand sich eine Stahlkammer, die sich auch nur durch Handabdruckkontrolle öffnen ließ. Die dort gelagerten Waffen konnten so gewaltigen Schaden anrichten, dass nur acht Personen von den Hunderten, die in Thunder Hill stationiert waren, Zutritt hatten, und keiner von ihnen konnte die Stahlkammer allein öffnen. Drei dieser acht Leute mussten innerhalb einer Minute ihre Hand an die Glasscheibe legen, bevor sie eintreten konnten. Aber auch diese Anlage wurde von VIGILANT gesteuert, und das neue -von Leland entworfene -Programm des Computers machte ihn zum einzigen Aufseher über das Nuklearwaffenarsenal des Depots. Er presste seine Hand auf das kühle Glas, und fünfzehn Sekunden später öffnete sich die schwere Stahltür langsam mit einem Summen elektrischer Motoren.
Rechts von der Tür hingen an Wandhaken zwanzig Atombomben. Nur die Initialzünder und die Zweiphasensprengkörper fehlten noch. Die Detonatoren wurden in Schubfächern an der hinteren Wand aufbewahrt.
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