Schwarzer Mond: Roman
nunmehr 18 Jahren der Pfarrei von St. Bernadette vor, und in dieser ganzen langen Zeit hatten ihn niemals Glaubenszweifel gequält. Das war für ihn einfach etwas Unvorstellbares.
Nach seiner Priesterweihe war er als Kurat nach St. Thomas geschickt worden, einer kleinen ländlichen Pfarrei in Illinois, wo der siebzigjährige Vater Dan Tuleen Pfarrherr war. Vater Tuleen war der sanftmütigste, freundlichste, sentimentalste und liebenswerteste Mann, den Stefan Wycazik je gekannt hatte. Dan litt unter Arthritis und starker Sehschwäche, und er war zu alt, um eine Pfarrei leiten zu können. Jeder andere Priester wäre mit sanftem Zwang in den Ruhestand versetzt worden, aber Dan Tuleen durfte sein Amt behalten, weil er 40 Jahre in St. Thomas verbracht hatte und ein integrierender Bestandteil im Leben seiner Pfarrkinder war. Der Kardinal, ein großer Bewunderer von Vater Tuleen, hatte sich nach einem Kaplan umgesehen, der wesentlich mehr Verantwortung übernehmen konnte, als normalerweise von einem Neupriester erwartet wurde, und seine Wahl war schließlich auf Stefan Wycazik gefallen. Nach seinem ersten Tag in St. Thomas hatte Stefan bereits begriffen, was von ihm erwartet wurde, und er hatte sich unerschrocken ans Werk gemacht und die gesamte Gemeindearbeit auf seine Schultern genommen. Nur wenige junge Priester wären einer solchen Aufgabe gewachsen gewesen, aber Vater Wycazik hatte niemals daran gezweifelt, dass er es schaffen würde.
Drei Jahre später, nachdem Vater Tuleen friedlich im Schlaf gestorben war, erhielt St. Thomas einen neuen Priester, und der Kardinal schickte Vater Wycazik in eine Vorstadtgemeinde von Chicago, deren Vorsteher, Vater Orgill, Probleme mit dem Alkohol hatte. Vater Orgill war kein völlig in Ungnade gefallener Whisky-Priester. Er brachte immer wieder die Kraft auf, sich selbst zu helfen. Vater Wycaziks Aufgabe bestand darin, ihm eine Stütze zu sein und ihn - subtil, aber energisch bei der Überwindung seiner Schwäche anzuleiten. Und der von Zweifeln unangefochtene junge Kaplan erwies sich als genau der Mann, den Vater Orgill gebraucht hatte.
In den folgenden drei Jahren wurde Stefan in zwei weiteren schwierigen Kirchengemeinden eingesetzt, und der Klerus der Erzdiözese begann ihn als >Krisenmanager Seiner Eminenz< zu bezeichnen.
Die aufregendste Zeit seines Lebens erlebte er, als er nach Vietnam geschickt wurde, wo er sechs alptraumhafte Jahre an Kirche und Waisenhaus >Unserer Lieben Frau< in Saigon verbrachte, als rechte Hand von Vater Bill Nader. >Unsere Liebe Frau< war von der Chicagoer Erzdiözese gegründet worden und gehörte zu den Lieblingsprojekten des Kardinals. Bill Nader hatte zwei Schussnarben, eine in der linken Schulter, die andere in der rechten Wade, und er hatte schon zwei vietnamesische und einen amerikanischen Priester durch Vietcongterroristen verloren.
Stefan zweifelte während seiner gesamten Tätigkeit in der Kriegszone nie daran, dass er überleben würde und dass seine Arbeit in dieser Hölle auf Erden sich lohnte. Als Saigon fiel, gelang es Bill Nader, Stefan Wycazik und 13 Nonnen, das Land mit 126 Kindern zu verlassen. Dem Blutbad der folgenden Zeit fielen Hunderttausende zum Opfer, aber selbst angesichts dieser Massenschlächterei hielt Stefan Wycazik sich mit dem Gedanken aufrecht, dass 126 Menschenleben sehr wichtig waren, und er ließ es nie zu, dass die Verzweiflung ihn überwältigte.
Als Belohnung für seine Bereitschaft, anderthalb Jahrzehnte den Krisenmanager Seiner Eminenz zu spielen, wurde ihm nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten die Erhebung in den Rang eines Prälaten angeboten, die er aber bescheiden ablehnte.
Statt dessen bat er demütig um eine eigene Pfarrei - und erhielt sie schließlich auch.
St. Bernadette war eine alles andere als blühende Pfarrei, als sie Vater Wycaziks fähigen Händen übergeben wurde. Sie war mit 125.000 Dollar verschuldet. Die Kirche war äußerst reparaturbedürftig, unter anderem wurde dringend ein neues Schieferdach benötigt. Das Pfarrhaus war mehr als baufällig; es drohte beim ersten heftigen Sturm einzustürzen. Eine Gemeindeschule gab es nicht. Seit fast zehn Jahren nahm die Zahl der Gläubigen, die zur Sonntagsmesse kamen, ständig ab. St. Bette, wie sie von einigen Ministranten genannt wurde, war genau die Art von Herausforderung, wie Vater Wycazik sie liebte.
Er zweifelte nie daran, St. Bette retten zu können. Innerhalb von vier Jahren steigerte er den Besuch der Sonntagsmesse um
Weitere Kostenlose Bücher