Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
die Taschenlampe an und richtete den Strahl leicht abwärts, was meine Umgebung bis zu Larrys Kabinett beruhigend ausleuchtete. Und Larrys Gesicht wurde auf die Weise Gott sei Dank von Schatten verdeckt. In der Dunkelheit hinter ihm funkelte etwas. Ich leuchtete hin. Es kam von einer Reihe Flaschen hinter der Bar. Kurz glaubte ich, jemanden atmen zu hören, aber als ich Larry wieder anleuchtete, bewegten sich weder seine Blasen noch er.
Nightingale hatte mir aufgetragen, ich solle »nichts herauslassen«. Ich wünschte wirklich, er hätte das nicht gesagt oder wenigstens genauer erklärt, was er da drin vermutete.
Ich fragte mich, wie lange totes Fleisch durch Magie frisch gehalten werden konnte. Oder war Larrys Kopf präpariert und ausgestopft wie eine Jagdtrophäe? War das Gehirn noch drin? Und wenn, wie wurde es mit Nährstoffen versorgt? Dr. Walid hatte Nightingale einmal Blutproben und Zellen entnommen, aber die Zellen hatten sich in der Kultur genau so verhalten, wie es von den Zellen eines etwa vierzigjährigen Mannes zu erwarten war. Als ich Dr. Walid fragte, ob er auch schon mal Proben von einem der Flussgötter genommen hätte, lachte er und meinte, das könne ich gern selbst versuchen. Keiner von uns hatte auch nur in Erwägung gezogen, Molly um Proben zu bitten. Dr. Walids Theorie war, dass, was auch immer durch die Magie geschah, nur auf der Ebene des Gesamtorganismusfunktionierte. Sobald einzelne Zellen davon getrennt wurden, verloren sie die rätselhafte Gabe, jung zu bleiben.
»Oder wie man das nennen will«, sagte Dr. Walid. »Die Entropie umzukehren, was weiß ich. Es ist frustrierend.«
Als ich mit Ash in die Themse gesprungen war, war er so gut wie tot gewesen; inzwischen machte er, wie ich aus sicherer Quelle wusste, Chelsea unsicher und arbeitete sich systematisch durch die Reihen der hübschen Blumen dort. Auf irgendeine Weise war der massive Gewebeschaden in seiner Brust repariert worden. Wenn das bei ihm möglich gewesen war, warum nicht auch bei Lesleys Gesicht? Vielleicht hatte sie recht, und was Magie angerichtet hatte, konnte Magie doch reparieren.
Da hörte ich aus der Dunkelheit hinter Larrys Kabinett ein Geräusch – ein Scharren, das mir für Ratten zu regelmäßig vorkam. Ich leuchtete in die Richtung, aber alles, was ich sah, war ein Gewirr von Schatten zwischen den Tischbeinen. Larrys Augen funkelten mich an. Sie machten nicht den Eindruck von Glasaugen.
Das Scharren kam wieder.
Ich nahm das Airwave und fragte Stephanopoulos, ob sie ungefähr wusste, wann Nightingale oder zumindest die Beleuchtung eintreffen würden. Da das Funkgerät digital funktionierte, kam es ohne das penetrante Rauschen eines analogen Walkie-Talkie aus. Stattdessen setzte die Verbindung in unregelmäßigen Abständen für Sekundenbruchteile aus. Ich verstand vage etwas von »in zehn Minuten« und dass ich bleiben sollte, wo ich war.
Scharren.
Ich nahm die Batterien aus dem Airwave, schaltete mein Handy aus, erschuf ein schönes helles Werlicht und dirigiertees an Larrys Kabinett vorbei tiefer ins Foyer. Hat man
Impello
einmal gemeistert, kann man damit jedes beliebige Objekt steuern, aber es hat seine Tücken. Ein bisschen, als würde man ein Modellflugzeug mit den Zehen fernsteuern. Während das Werlicht um das Kabinett herumschwebte, bemerkte ich, dass Larrys Augen ihm tatsächlich zu folgen schienen. Ich versuchte, es in einem Kreis wieder zurückzuführen, um das zu überprüfen, aber alles, was passierte, war, dass es verlangsamte und flackerte. Ich musste die Augen schließen und mich stark konzentrieren, damit es nicht völlig ausging. Als ich sie wieder öffnete, konnte ich das Foyer endlich ganz in Augenschein nehmen.
Es war ebenso gold-rot tapeziert wie alles andere, und der Durchgang zu den weiteren Räumlichkeiten des Clubs wurde von schweren roten Samtvorhängen eingefasst. Rechts gab es zwei matt glänzende Türen, auf denen Messingplatten mit GENTLEMEN und LADIES angebracht waren. Die Rückwand der Bar war verspiegelt, so dass ich sehen konnte, dass nichts hinter dem Tresen lauerte.
In Clubs wie diesem hatte mein Dad oft gespielt, und ich hatte selbst schon den einen oder anderen besucht. Daher fiel mir auf, dass trotz allen Schimmelgeruchs die Vorhänge verdächtig gut erhalten wirkten. Und dann sah ich aus einer Fassung an der Decke eine vertraute eckigvielröhrige Energiesparleuchte ragen – die hatte es in den Siebzigern garantiert noch nicht zu kaufen
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