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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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ihm das nicht besonders überzeugend vor. Selbst wenn der Täter damals erst fünfzehn Jahre alt gewesen war, dann wäre er heute weit über achtzig. Ein Alter, indem man für gewöhnlich nicht mehr mordet. Doch es musste einen Zusammenhang geben. Nur welchen?
    »Wie hört sich das an?«, riss ihn Melchior aus seinen Gedanken.
    Erst jetzt fiel Treidler auf, dass seit ihrer Abfahrt niemand ein Wort gesprochen hatte. Inzwischen befanden sie sich schon in dem kurvigen Waldstück, wenige Kilometer vor Rottweil. An den Stellen, wo die Sonne wegen der Bäume die Fahrbahn nicht erreichte, überzog eine schmierige Schneedecke die Kreisstraße. Dazwischen tauchten immer wieder Bereiche mit nassem und vollständig abgetrocknetem Asphalt auf. Treidler ging etwas vom Gas und massierte sich den Kiefer, der bei schnellen Bewegungen immer noch ein leises Knacken von sich gab. Auch die Schwellung unter dem Auge würde erst in ein paar Tagen zurückgehen.
    »Anton Novak«, fuhr Melchior fort, »erfährt durch Edda, dass sein Bruder noch am Leben und nach Florheim zurückgekehrt ist. Das hat er vorhin selbst zugegeben. Jetzt fürchtet er, dass Johann nach all den Jahren einen Teil des Hofes von ihm einfordern könnte.«
    »Erbstreitigkeiten?«, erwiderte Treidler und runzelte die Stirn. »Die beiden sind über achtzig. In diesem Alter streitet man sich nicht mehr um ein Erbe, sondern denkt daran, wem man sein Eigentum vererbt.«
    »Das mag schon sein. Doch wissen wir, wie der Alte tickt? Womöglich hat er nur seinen persönlichen Besitzstand im Sinn und will den Bruder loswerden? Verrückt genug scheint er ja allemal zu sein.«
    »Vielleicht. Aber reden Sie mal weiter …«
    »Wie gesagt, unser Anton will nichts mehr mit seinem Bruder zu tun haben und sieht ihn sogar als Konkurrenten um das Erbe. Er hat schließlich all die Jahre den Hof ohne Johann durchgebracht. Und zack – bringt er ihn um.«
    Treidler schüttelte den Kopf. »Und warum stopft er ihm dann eine Münze in den Mund?«
    Melchior hob die Achseln. »Vielleicht um den Verdacht nicht auf sich zu lenken. Er ahmt den einzigen Modus Operandi nach, den er kennt.«
    »So, so, Modus Operandi …«
    »Das nennt sich nun mal so, Treidler«, gab sie mit einem schwachen Lächeln zurück. »Die Todesfälle galten damals schon als mysteriös und sind bis heute nicht aufgeklärt. Das könnte ihn noch mehr angeregt haben. Wir wissen nicht, wie der Alte …«
    »… tickt«, nickte Treidler. »Ich weiß nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil die Theorie nicht schlüssig ist. Außer dem Motiv passt da überhaupt nichts. Und dieses Motiv ist für mich ziemlich an den Haaren herbeigezogen.« Er sah ein paar Krähen nach, die ihre Kreise tief über der weißen Landschaft zogen. »Außerdem gibt es da noch die Mordwaffe, eine Luger. Wie kommt der Alte an die Armeepistole? Hat er sie während des Krieges einfach irgendwo gefunden und behalten? Über sechzig Jahre lang?«
    Melchior überlegte einen Augenblick und zuckte dann mit den Schultern. »Sie haben recht. Aber im Moment fällt mir auch nichts Besseres ein.«
    In einer Rechtskurve flackerte plötzlich ein Blaulicht durch die Bäume. Sofort bremste Treidler. Der Mercedes reagierte mit einem leichten Schlingern, kam aber sogleich wieder zur Ruhe. Wahrscheinlich ein Verkehrsunfall. Und nach kaum hundert Metern tauchte auch schon ein Streifenwagen mit rotierendem Blaulicht auf der linken Straßenseite auf. Etwas abseits davon, die Front an einem mächtigen Tannenstamm zur Hälfte eingedrückt, hing ein roter Kleinwagen mit der Hinterachse im Straßengraben. Leichter Rauch quoll unter der Motorhaube hervor. Die rechte Fahrspur blockierte ein Krankenwagen. Davor knieten zwei Sanitäter in gelben Warnwesten neben einer Person auf einer Trage. Einer von ihnen hielt eine Infusionsflasche hoch, während der andere mit dem Verletzten sprach.
    Treidler näherte sich langsam dem Unfallort. Kurz vor dem Polizeifahrzeug kam er zum Stehen und kurbelte die Seitenscheibe herunter. Mit einem Wink rief er einen der Beamten zu sich, der mit missmutiger Miene und betont gemächlich neben die Fahrertür trat.
    »Können Sie uns kurz durchlassen?«, fragte Treidler.
    Statt eine Antwort zu erhalten, starrte Treidler in ein erschrockenes Gesicht. Offenbar hatte der Beamte ihn jetzt erst erkannt. Es dauerte nochmals ein paar Augenblicke, dann stammelte er: »In zwei oder … äh, drei … Minuten … zuerst äh … zuerst Aufnahmen machen … von den anderen … äh,

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