Schwarzer Purpur
fehlte die tropfenförmige Perle, die beim rechten fast ihre knochige Schulter streifte –, empfing uns im Speisezimmer vor dem Kamin stehend. Das schlichte Leinenkleid in azurblau mit dem dazugehörigen bestickten Jäckchen, das wir für Gelegenheiten wie diese vorgesehen hatten, fand offenbar ihre Zustimmung. Sie nickte mir wohlwollend zu und sagte an Jonathan gewandt: »Ich muss mich dafür entschuldigen, Sie jetzt erst angemessen zu begrüßen. Aber Sie haben sicher Verständnis dafür, dass wichtige Familienangelegenheiten mich in Anspruch nahmen.« Die Wirkung der würdevollen Ansprache machte sie allerdings sofort zunichte, als sie sich ihm zuneigte und vertraulich flüsterte: »Ich hoffe, Sie sind inzwischen so weit wiederhergestellt, dass Sie Rosies Essen überstehen. Seien Sie so gut, und loben Sie es über den grünen Klee, auch wenn Sie es ungenießbar finden. Sonst ist sie die nächsten Wochen unausstehlich!«
Jonathan, elegant wie immer in seinem schwarzen Anzug, benahm sich zu meiner Erleichterung tadellos: Mehr als einen kleinen Anflug von Sarkasmus hörte selbst ich nicht aus seiner Versicherung heraus, sich in den vergangenen Stunden von den Strapazen der Reise völlig erholt zu haben.
Sophia nickte majestätisch. »Sehr hübsch gesagt, Mr. Dunnet! – Nehmen Sie sich einen Sherry. Mein Enkel wird jeden Augenblick herunterkommen.«
Mark erschien wenige Minuten später. Ich erkannte den Anzug von unserer zweiten Begegnung wieder. Besaß er keinen anderen? Vermutlich nicht, entschied ich. Im Gegensatz zu Jonathan schien er sich im Anzug nicht wohl zu fühlen. Man sah ihm an, dass er die Krawatte als unangenehm empfand, sich beengt fühlte. Ich warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Er lächelte etwas gequält, als er auf mich zutrat und zurückhaltend auf die Wange küsste. »Glücklicherweise zwingt meine Großmutter mich nicht oft zu so einer förmlichen Verkleidung. Normalerweise bewahrt sie dieses Relikt auf dem Dachboden auf.« Er schnupperte misstrauisch. »Bilde ich es mir ein, oder riecht diese Krawatte tatsächlich nach Mottenkugeln?«
Sophia, die seine despektierliche Bemerkung aufgefangen hatte, runzelte finster die Stirn und bat Jonathan fast barsch, sie zu Tisch zu führen.
Rosies Essen war einfach wunderbar, aber ich hätte es auch wunderbar gefunden, wenn es nach Pappe geschmeckt hätte. Nach jedem Gang erschien die Köchin mit vor Verlegenheit dunkelroten Pausbacken, rang nervös die Hände und bat Jonathan inständig, ehrliche Kritik zu üben. Obwohl ihren Gerichten das Raffinement fehlte, das er selbst zelebrierte, klang sein Lob aufrichtig. »Vielleicht hier und da eine Spur – aber bloß eine Spur von …« Als er ihr versprach, am nächsten Vormittag ein paar seiner Tricks zu verraten, knickste sie wie ein Schulmädchen früherer Tage und strahlte über das ganze Gesicht.
»Viel hat nicht gefehlt, und sie hätte Ihnen die Hände geküsst, Dunnet«, bemerkte Mark trocken. »Dürfen wir euch dann eurem Portwein überlassen? Ich möchte Verena den Rosengarten zeigen.«
»Ach, die Jugend«, sagte Jonathan seelenvoll und griff nach dem Käsemesser. »Ich fand es vorhin ziemlich kühl. Passt auf, dass ihr euch nicht erkältet.«
Die Warnung war berechtigt. Ich fröstelte, sobald wir das Haus verließen, und das obwohl Mark mir seinen Arm um die Schultern geschlungen hatte und ich mich so eng wie möglich an seinen warmen Körper schmiegte.
»Vielleicht war es keine so gute Idee, aber ich wollte dich unbedingt in Ruhe und ohne Beobachter küssen«, murmelte er heiser und riss mich in seine Arme, sobald wir um die Hausecke gebogen waren.
Kapitel 9:
Purple Passion
»Du fühlst dich wohl? Kein Kratzen im Hals, kein Anflug von Gliederschmerzen?«, erkundigte Jonathan sich übertrieben besorgt, sobald ich am nächsten Tag mit einem hastig gemurmelten »Guten Morgen« als Letzte ins Speisezimmer trat. Obwohl es ein Sonntag war, hatte Sophia schon gefrühstückt, wie ihr benutztes Gedeck zeigte, und Mark, der mir von seinem Platz aus ein verschwörerisches Lächeln zuwarf, leerte gerade seine Teetasse.
»Hatten wir nicht ausgemacht, dass ich dir heute Vormittag die Gärtnerei zeigen wollte? Was hat dich so lange aufgehalten?«, fragte er unschuldig.
Ich warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Er wusste ganz genau, dass ich in Gegenwart von Jonathan nicht erwähnen würde, dass er mich den größten Teil der Nacht wach gehalten hatte. Der Mond war bereits untergegangen und die
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