Schwarzer Schmetterling
mich gerade in den Chef eines französischen Großkonzerns verbissen«, antwortete sie. »Mein erster Fall dieser Größenordnung. Das heißt, dass man mir ziemlich viele Steine in den Weg legt. Aber pst!«
»Du wirst noch zum Schrecken der Konzernchefs werden, Marissa«, bestärkte er sie.
»Was kann ich für dich tun, Vincent?«
»Hast du etwas über Eric Lombard?«
Schweigen am anderen Ende.
»Na, so was! Wer hat dir einen Wink gegeben?«
»Inwiefern?«
»Erzähl mir nicht, dass es ein Zufall ist: Der Typ, über den ich ermittle, ist Lombard. Woher hast du die Info?«
Er spürte, dass sie misstrauisch wurde. Die 380 Beamten des Dezernats für Finanzdelikte lebten in einer leicht paranoiden Welt: Sie waren zu sehr daran gewöhnt, im Schatten transnationaler Großunternehmen korrupten Politikern, gekauften hohen Beamten, aber auch bestechlichen Polizisten und Anwälten zu begegnen.
»Vor zehn Tagen wurde hier in den Pyrenäen das Lieblingspferd von Lombard umgebracht. Während er auf Geschäftsreise in den Vereinigten Staaten war. Anschließend kam es in der gleichen Gegend zu zwei Morden. Vermutlich besteht ein Zusammenhang zwischen den Taten. Es könnte ein Racheakt sein. Daher wollen wir möglichst viel über Eric Lombard herausfinden. Und vor allem wollen wir wissen, ob er Feinde hat.«
Er spürte, dass sie sich ein wenig entspannte, als er weiterredete.
»Dann bist du ja ein kleiner Glückspilz!« Er ahnte, dass sie lächelte. »Wir wühlen den ganzen Schlamm gerade auf. Aufgrund einer anonymen Anzeige. Und du kannst dir nicht vorstellen, was da alles an die Oberfläche kommt.«
»Und ich vermute, dass es streng vertraulich ist?«
»Genau. Aber wenn ich etwas sehe, was in irgendeinem Zusammenhang mit deinem Fall stehen könnte, lass ich es dich wissen, okay? Zwei Morde und ein totes Pferd? Ganz schön seltsame Geschichte. Ich hab übrigens nicht viel Zeit. Ich muss los.«
»Kann ich auf dich zählen?«
»Kannst du. Sobald ich was für dich habe, leite ich es an dich weiter. Natürlich unter der Bedingung, dass du dich irgendwann revanchierst. Aber damit wir uns verstehen: Ich hab dir nichts gesagt, und du hast keine Ahnung, woran ich arbeite. Weißt du, was das Dollste ist? Lombard hat für 2008 weniger Steuern gezahlt als der Bäcker unten in meinem Haus.«
»Wie das?«
»Ganz einfach: Er hat die besseren Steueranwälte. Und die kennen jedes der 486 Steuerschlupflöcher auswendig, die es in diesem wunderbaren Land gibt, vor allem in Form von Steuergutschriften. Am umfangreichsten sind da wohl die ausländischen Steuergutschriften. Im Großen und Ganzen bekommt man für Auslandsinvestitionen Steuerminderungen, die sich im industriellen Sektor auf bis zu sechzig Prozent belaufen, bei der Renovierung von Hotels und Jachten sogar bis zu siebzig Prozent. Außerdem gibt es keine Obergrenzen für die Investitionssummen und daher auch keine Höchstbeträge für die Steuerminderungen. Natürlich sind das alles Investitionen, bei denen es um kurzfristige Profite geht und nicht um die langfristige ökonomische Tragfähigkeit der Projekte. Und natürlich investiert Lombard nicht mit Verlust: Seinen Einsatz holt er sich immer auf die eine oder andere Weise zurück. Zählt man dazu noch die Steuergutschriften wegen der internationalen Doppelbesteuerungsabkommen, den Kauf von Kunstwerken und eine ganze Serie buchhalterischer Tricks, dann braucht man sich nicht mehr in der Schweiz oder auf den Kaiman-Inseln zu verstecken. Am Ende zahlt Lombard weniger Steuern als ein Steuerpflichtiger, der nur ein Tausendstel seines Einkommens erzielt. Nicht schlecht für einen der zehn reichsten Franzosen, oder?«
Espérandieu erinnerte sich an das, was ihm Kleim 162 eines Tages gesagt hatte: Den internationalen Finanzinstitutionen wie dem IWF und den Regierungen gehe es vor allem darum, »ein investitionsförderndes Umfeld zu schaffen«, anders gesagt, die Steuerlast von der Ober- auf die Mittelschicht zu verlagern. Oder, wie es ein amerikanischer Milliardär, der wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis wanderte, einmal zynisch formulierte:
»Only little people pay taxes.«
Er sollte Kleim 162 vielleicht Marissa vorstellen: Sie würden sich bestimmt verstehen.
»Danke, Marissa, dass du mir für den Rest des Tages die Stimmung verdorben hast.«
Ein paar Sekunden lang betrachtete er seinen Bildschirmschoner. Da zeichnete sich ein Skandal ab … Lombard und sein Konzern waren darin verwickelt … Konnte das etwas mit
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